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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Hitler.
    Pokergesicht.
    Er erhob noch nicht einmal die Stimme, als er meinen fragenden Blick sah: »Beileibe, ich bin aber kein gewöhnlicher Emigrant!«
    Im Januar 1915, während der Vater für Deutschland ins Feld zog, kam Hans Müller in Düsseldorf zur Welt. Die Geburtsurkunde trägt die Nr. 73 vom Standesamt Düsseldorf (Nord). Seine Enkelin Julia Werder, die in der Schweiz lebt und über ihren Großvater forscht, hat sie mir im Januar 2012 geschickt. Er war der Sohn des Kaufmanns Simon Müller »israelitischer Religion«, so steht es in der Urkunde, und der Henriette Rosalie Müller, geborene Ballin, »reformierter Religion«. Zur Welt kam Hans Müller mittags um »ein dreiviertel Uhr« am 13. Januar.
    Kaufmann Müller besaß entweder einen Elektrogroßhandel oder gar eine Fabrik zur Herstellung elektrischer Geräte. Er war also wohlhabend. Mutter Henriette nannte den Hamburger Reeder Arthur Ballin, der die HAPAG zur größten Schifffahrts- linie der Welt ausbaute, Onkel. Nach ihm ist der Ballin-Damm an der Binnenalster benannt, wo immer noch der Geschäftssitz der Reederei Hapag-Lloyd ist. Ballin war ein Vertrauter des Kaisers und beging am 9. November 1918 am Tag der Bekanntgabe des Thronverzichts Wilhelms II. und der Ausrufung der Republik Selbstmord.
    Wahrscheinlich hätte Hans Müller in Düsseldorf eine Arztpraxis eröffnet oder wäre dort Professor und Chefarzt geworden und läge jetzt neben Forschern, Landschaftsmalern und Poeten, Ministerpräsidenten und Theaterintendanten auf dem Nordfriedhof, wären die Nationalsozialisten nicht 1933 an die Macht gewählt worden.
    Nach dem Abitur 1933 war er vom April bis zum Juni noch zwei Monate beim Deutschen Arbeitsdienst zum »Werkhalbjahr« eingerückt, doch dann hatte er sich beurlauben lassen. Sein Vater hatte ihm geraten, in die Schweiz zum Studium zu gehen, denn als Sohn eines Juden würde er an einer deutschen Universität wohl nicht mehr angenommen. Und im Herbst 1933 fiel es dem damals achtzehnjährigen Müller nicht schwer, einen Sichtvermerk im Pass zu erhalten und im schweizerischen Basel das Medizinstudium aufzunehmen.
    »Ich erwartete natürlich, dass Hitler nur ein paar Monate an der Macht bleiben würde«, erklärte mir Müller. »Doch dann kam Neujahr 1939. Ich war gerade zum Dr. med. promoviert worden. Hitler war schon jahrelang an der Macht und hatte gerade die Tschechoslowakei geschluckt. Ich dachte, dass es in Europa kaum noch Widerstand gegen Hitler geben würde. Und irgendwie muss man sich ja seiner Haut wehren. Also wollte ich dahin, wo noch gegen Hitler gekämpft wurde. Da Spanien erledigt war, kam für mich nur mehr China infrage. Ich wusste, dass dort noch gekämpft wurde.«
    In der Schweiz hatte sich Müller mit einem chinesischen Studenten befreundet, der vom Kampf der Chinesen gegen die Japaner erzählt hatte. Und die Japaner waren nun einmal als »Achsenmacht« Verbündete Hitlers.
    »Aber waren Sie denn Kommunist?«, fragte ich Hans Müller.
    »Ich war damals politisch noch gar nicht interessiert«, antwortete er mir. »Abgesehen von der Hauptfrage, dass ich Hitler nicht gernhatte.«
    Müller nahm über Freunde Kontakt zu Mao Zedongs Armee auf, bestieg in Marseille ein französisches Schiff und fuhr nach Hongkong. Eine einundzwanzigtägige, angenehme Reise, wie er sich in unserem Gespräch erinnerte.
    »In Hongkong war ich einen Monat«, erzählte Müller, dann bin ich mit dem Schiff nach Haiphong, von dort mit dem Lastwagen über Hanoi nach Nanning. Die Guomindang wollten mich nicht durchlassen.«
    Die Guomindang waren die Truppen von Chiang Kai-shek. Chiang Kai-shek hatte schon 1927 begonnen, die chinesischen Kommunisten zu bekämpfen, sich dann allerdings mit ihnen für den Krieg gegen die eingerückten Japaner verbündet. Aber die Konkurrenz zwischen beiden Parteien blieb.
    Die Guomindang wollten den jungen Arzt für das eigene Rote Kreuz ködern, doch Müller fühlte sich vom korrupten Offizierscorps der Nationalchinesen abgestoßen.
    »Die Guomindang haben ihre Rekruten wie eine Herde von Tieren vor sich hergetrieben.« Hans Müller schilderte angewidert, was er gesehen hatte. »Ich wollte an die Front gehen. Und was ich von den Guomindang gesehen habe, das hat mich in meinem Wunsch sehr bestätigt.«
    »Und dann haben Sie beschlossen, auf die Seite von Mao zu wechseln?«, fragte ich.
    »Diesen Entschluss hatte ich bereits in der Schweiz gefasst. Von Maos Armee wusste ich nur durch Freunde und Bekannte, die ein wenig besser

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