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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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aufgerissen.«
    Auch Deng Xiaoping, mit dem Müller nach dem Krieg häufig Bridge spielte, hat er damals kennengelernt. »Deng Xiaoping war, als ich in den Gebieten hinter der japanischen Front war, politischer Kommissar in der Division, in der ich tätig war. Das hieß Division, aber die bestand aus etwa 300 000 Mann.«
    Inzwischen waren die beiden fast Nachbarn.
    Bridge, so heißt es, habe Hans Müller seinem Nachbarn beigebracht, und Deng widmete sich bis ins hohe Alter gern diesem Kartenspiel. Die chinesische Geschichte ist mit beiden ähnlich verfahren. Helden der Revolution, doch Verfolgte der Kulturrevolution. Wobei es dem Ausländer etwas besser erging. Professor Müller zog sich zurück, bezog nicht Stellung, überlebte ohne Demütigungen. Allerdings versuchte er, im Verborgenen zu wirken. Um den Sohn eines Kollegen zu retten, schrieb er Mao sogar einen Brief.

    Da Müller ursprünglich nur bleiben wollte, bis der Krieg gegen Hitler beendet war, versuchte er 1945 mit Hilfe der Amerikaner heimzureisen. Die jedoch verweigerten dem Arzt aus Maos Roter Armee die Rückkehr. Trotzdem verabschiedete sich Müller von der Truppe.
    Auf Deutsch bescheinigte ihm der Kommandierende General der 18. Armeegruppe Zhu De, dass »Herr Dr. med. Hans Kurt Müller vom 1. Oktober 1939 bis zum 1. September 1945 in der 18. Armeegruppe als Arzt im Range eines Majors diente.« Drunter setzte er sein Siegel. General Zhu De war über viele Jahre Oberkommandierender der chinesischen Volksbefreiungsarmee und einer der engsten Vertrauten Maos. Er hatte sich gern mit Müller getroffen und auf Deutsch unterhalten. Denn Zhu De hatte 1924 und 1925 in Deutschland angeblich studiert, in Wirklichkeit aber kommunistische Zeitschriften verbreitet und sich Industrieanlagen angeschaut. Zweimal wurde er von den deutschen Behörden wegen revolutionärer Aktivitäten verhaftet und schließlich des Landes verwiesen.
    Zhu De schaffte es bis zum Vizepräsidenten der Kommunistischen Partei Chinas und war in den siebziger Jahren Vorsitzender des Nationalen Volkskongresses. Vielleicht hatte er seine Hand im Spiel, als Hans Müller dort zum Mitglied gewählt wurde.
    Der Faschismus in Deutschland war besiegt. Die Kommunisten in China hatten gesiegt. Jetzt konnte Hans Müller nun nach Hause. Nach Deutschland. Aber wie?
    Die chinesische Armee überließ ihm zwei Pferde, bestimmte einen Begleiter, und so ritten sie in Richtung Russland – mit dem Fernziel Heimat. Monate waren sie unterwegs, ritten bis fast in die Innere Mongolei, aber stets leiteten feindliche Truppen der Guomindang ihn um.
    Schließlich fiel es chinesischen Freunden nicht schwer, Müller zu überreden, doch weiter »mitzumachen«. Na gut, dann würde er eben bleiben. Wenigstens bis zum Sieg über die nationalchinesischen Truppen, dachte er.
    Denn was sollte er in Deutschland?
    Weil er Jude war, hatten die Nazis seinen Vater ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Er hat es überlebt.
    Müllers Mutter war es gelungen, vielleicht weil sie »reformierter Religion« war und vielleicht auch wegen ihrer Verwandt- schaft mit Ballin, nach Shanghai zu reisen, in der Hoffnung, ihren Sohn wiederzusehen. Aber Shanghai war von den Truppen Tschiang Kai-sheks besetzt – dem Feind der kommunistischen Truppen. Sie schrieb ihrem Hans Briefe, die er auch erhielt, doch die Mutter konnte nicht erreichen, wonach sie sich am meisten sehnte, den Sohn wieder in ihre Arme schließen. Der Vater kam 1945 in ein Erholungslager in Deggendorf, wie die Mutter aus Shanghai schrieb. Ohne ihren Hans getroffen zu haben, nahm die Mutter 1946 schließlich das Schiff zurück nach Deutschland. Die Eltern hat Müller nie wiedergesehen.
    Denn der Sieg über die nationalchinesischen Truppen kam zwar 1949. Inzwischen war Müller wieder häufig vor dem Feind davongelaufen – und einmal rannte auch eine japanische Krankenschwester mit ihm, die von den Truppen des Tenno übrig geblieben war.
    »Von ihr wurde ich gefangen genommen«, schmunzelte Müller und fügte hinzu, »gefangen in der Ehe.« 1948 heiratete er Kyoko Nakamura.
    Bis zum Sieg über Chiang Kai-shek, der sich 1949 geschlagen gab und mit seinen Anhängern nach Taiwan floh, hatte Müller zehn Jahre lang an der Seite von Maos Truppen als Chirurg mitgekämpft. Von 1939 an gegen die Japaner, von 1945 bis 1949 gegen die Nationalchinesen.
    Ohne einen Tag Urlaub. Konsequent bat man ihn, der inzwischen fließend chinesisch sprach, er möge doch beim Aufbau helfen. Also blieb

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