Neugier und Übermut (German Edition)
ausgeliefert.
»Fürchteten Sie damals nicht, das gleiche Schicksal erleiden zu müssen, wie einst die Zarenfamilie in Russland?«, fragte ich den Bruder des Kaisers.
»Wir lebten in ständiger Angst, an die Wand gestellt zu werden. Wir kannten ja das Schicksal der Romanows. Jede Nacht hatten wir Albträume«, sagte Pujie fast flüsternd.
Neun Jahre wurden Pujie und der Kaiser in einem Umerziehungslager mit der kommunistischen Ideologie und Lebensweise traktiert, schließlich durch einen Gnadenakt Maos entlassen. Sie durften nach Peking zurückkehren.
Pujie lebte seit der Entlassung aus dem Lager wieder mit seiner Frau zusammen. Die ältere Tochter studierte in Japan, als aber ihr Vater in China wieder freigelassen wurde und mit seiner Frau und der jüngeren Tochter zusammenzog, schrieb Tochter Huiseng einen Brief an den chinesischen Ministerpräsidenten Zhou Enlai und bat ihn, auch ihr zu gestatten, bei den Eltern zu leben. Von dem Brief gerührt, erlaubte es Zhou Enlai, doch Huiseng kam nie in China an. Ein japanischer Studienkamerad hatte sich in sie verliebt, brachte sie um und beging danach Selbstmord. Später heiratete die jüngere Tochter einen japanischen Adeligen, der in Tokio in der Autoindustrie arbeitete.
Als wir wieder bei Pujie zu Hause waren und er uns einen Tee servieren ließ, holte er noch einmal sein Fotoalbum hervor. Voller Stolz zeigte er ein Bild, das auf eine der letzten Seiten geklebt war. Da stand, zwischen ihm und seinem Bruder, dem ehemaligen Kaiser, Zhou Enlai, der im Volk immer noch verehrte langjährige chinesische Ministerpräsident aus Maos Zeiten.
»Zhou Enlai kam schon mal zum Abendessen«, sagte Pujie befriedigt.
Als Pujie, seine Frau am Arm, mich und Kameramann Michael Giefer langsam durch den Garten zum Tor begleitete, konnte ich mir noch immer nicht vorstellen, dass dies ein Prinz sein sollte, der von den französischen Revolutionären bei der Fahrt zum Schafott auf den Wagen gleich neben Ludwig XVI. gesetzt worden wäre.
Dass solch ein Mann im kommunistischen China relativ privilegiert leben konnte, während in der Kulturrevolution zehn Millionen Menschen, oder gar noch mehr, den Tod fanden, gehört für mich zu den unerklärlichen Widersprüchen der Geschichte.
Maos Feldchirurg aus Düsseldorf –
Hans Müller
Manches klingt zu un glaublich, um erfunden zu sein – etwa: Hans Müller aus Düsseldorf war Mitglied des Chinesischen Volkskongresses geworden. Tatsächlich erfuhr ich, als ich 1979 in Peking einige Fernsehdokumentationen drehte, zu meinem Erstaunen, dass ein Rheinländer im kommunistischen Parlament des Reiches der Mitte saß. Ich beschloss sofort, ihn aufzusuchen.
Wer in Peking nördlich der Verbotenen Stadt, dem Palast der Chinesischen Kaiser, den Kohlehügel bestieg, sah zu der Zeit, als Peking noch nicht mit Hochhäusern zugebaut war, unter sich gewöhnlich scheinende, grau verstaubte Wohnviertel, die nicht verrieten, dass dort Prominenz lebte.
In einer unauffälligen Gasse residierte hinter einem großen Eisentor Deng Xiaoping, der wohl bedeutendste chinesische Politiker nach Mao Zedongs Tod. Deng öffnete die Märkte und legte damit den Grundstein zur bis heute andauernden Wirtschaftsexplosion. Fünfzig Meter weiter um eine Ecke endete die Sackgasse an einem kleinen, sehr gepflegten rot lackierten Holztor. Dahinter wohnte jener Hans Müller aus Düsseldorf in einem für chinesische Verhältnisse großen Haus, dessen Innenhof kunstvoll zu einem japanischen Garten stilisiert worden war – von seiner Frau. Das Wohnzimmer war mit chinesischen Möbeln eingerichtet und spärlich mit asiatischen Kunstgegenständen geschmückt.
Um das Besondere ein wenig einzuschränken, sei angemerkt, dass der Volkskongress mehrere Tausend Mitglieder zählt, die alle ernannt, nicht erwählt werden. Und weniger das Plenum als die Ausschüsse verfügen über die Möglichkeit, wenn auch nicht Entscheidungen, so doch Empfehlungen zu verabschieden.
Der Mann trug den Allerweltsnamen Hans Müller, da den Chinesen aber schlecht aussprechen können, wurde er in China Hansi Mile genannt. Mit Betonung auf der letzten Silbe. Milé klingt dann fast wie Müller. Doch wer unter einem Rheinländer namens Hans Müller eine laute Frohnatur erwartete, der irrte gewaltig. Denn zurückhaltend und so, als wäre es ihm lästig, über sich selbst zu sprechen, erklärte mir das rheinische Mitglied des Chinesischen Volkskongresses, dass er so geehrt worden war, läge letzten Endes an
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