Neugier und Übermut (German Edition)
Museum of Broadcasting kennengelernt hatte, wo sie als Pressereferentin arbeitete, gab mir einen Tipp.
Montagabends hing er immer ab in Michael’s Pub in der 55th Street. Zwischen 3rd Avenue, wo P. J. Clake’s eine einladende Theke und hervorragende Hamburger anbietet, und 2nd Ave. Ich wohnte ein paar Hundert Meter weiter. In einem Wolkenkratzer. In der zweiten Etage, Ecke 56th Street / 2nd Ave.
In diesem Pub habe ich Woody Allen gehört und gesehen. Aber nicht gesprochen. Er trat mit seiner Jazz-Band als Klarinettist auf. Aber er verschwand sofort nach seinem Auftritt.
Dann gab Letty mir den nächsten Tipp.
Ihr Bruder drehe in dem New Yorker Vorort Piermont seinen nächsten Film. Seinen dreizehnten. Und sie habe uns eine Drehgenehmigung besorgt. Als ich ihn dort über die Straße gehen sah, glaubte ich, er spiele schon wieder. Nein, so geht Woody Allen immer. Und was für einen Film er drehte, hielt er geheim. Überhaupt war er ein großer Geheimniskrämer, wie ich später selbst erlebte. Aber Letty hatte mir erzählt, bei dem Film handele es sich um eine Frau, die ständig ins Kino geht und dadurch eigene Phantasien entwickelt. Und diese Frau spielte natürlich seine (damalige) Frau, Mia Farrow. The Purple Rose of Cairo.
Wir haben ein wenig gedreht. Aber er nahm uns nicht wahr.
Inzwischen ist Letty als Producer von Woodys Filmen sogar 2012 für den Oscar in der Kategorie Bester Film nominiert worden, für Midnight in Paris. Aber damals, als wir uns trafen, arbeitete sie noch nicht mit ihrem Bruder zusammen. Doch ich bin sicher, dass sie ihm von mir erzählt hat. Denn eines Tages erhielt ich einen Anruf. Nicht von Woody Allen selbst, aber aus seinem Büro. Und jemand erklärte mir: Woody Allen habe einen »Mockumentary« geschrieben. »Mockumentary« ist ein erfundenes Wort, aus den zwei Begriffen »Documentary« und »to mock« zusammengesetzt. »To mock« bedeutet verspotten, nachahmen, täuschen oder zum Narren halten. Bei diesem Film, so der Anrufer im Namen von Woody Allen, handele es sich um einen erfundenen Dokumentarfilm, der aber echtes Dokumentarmaterial verwende.
Da stehe dann die Hauptperson namens Zelig (so auch der Titel des Films), gespielt von Woody Allen, auch mal neben Hitler oder dem Papst. Und es sehe absolut echt aus. Zelig sei ein perfektes menschliches Chamäleon.
Nun suche Woody Allen für die deutsche Fassung – ich war sofort elektrisiert – jemanden, der die Rolle des Dokumentaristen sprechen könne. Und ich sei doch ein Fernsehkorrespondent, der Dokumentarfilme drehe und seine Texte selber spreche. Das müsse doch passen!
Allerdings war ich mitten in einer eigenen Produktion zeitlich so im Stress, dass ich absagte. Ich könne bei bestem Willen nicht. Aber in meinem Studio sei ein junger Mann, der gerade anfange, Filme für das Fernsehen zu machen. Den könne ich ihnen schicken. Stephan Strothe – heute Amerikakorrespondent von N24 und Sat 1. Na gut, er möge mal kommen.
Aber dann siegte doch meine Neugier.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, Stephan Strothe zu begleiten, denn das ARD-Büro lag Ecke 57th Street und Broadway, die Produktion von Woody Allen nur einige Hundert Meter weiter südlich auf dem Broadway. Und natürlich hoffte ich, Woody Allen zu treffen. Bestimmt würde er sich zeigen. Bei solch einer wichtigen Entscheidung.
Wir wurden in einen kleinen Vorführsaal geführt, an einem Pult waren Mikrophone angebracht, und Stephan Strothe sprach einen Text. Ach, und da ich nun einmal da war, fragten sie mich, ob ich nicht bitte auch einmal vorsprechen wolle.
Ich hätte wirklich keine Zeit!
Aber ich sollte nur mal den Text vorlesen. Ich vermutete, dass Woody Allen hinter der verdunkelten Glasscheibe im Regieraum saß. Also nahm ich das Stück Papier, überflog den Text, machte mir einige Zeichen, wo ich mir eine Pause dachte und wo ich besonders betonen würde. Dann las ich vor.
Nichts geschah.
Wir saßen allein in dem verdunkelten Studio. Dann kamen irgendwelche Mitarbeiter und dankten uns. Man würde uns anrufen.
Woody Allen haben wir nicht gesehen.
Am Nachmittag rief mich Letty an. Sie habe eine große Bitte. Woody sei von meiner Dokumentarstimme so überzeugt, dass er unbedingt wolle, dass ich die deutsche Fassung spreche. Es dauere wirklich nur drei oder vier, höchstens fünf Stunden.
»Letty, ich kann wirklich nicht! Ich muss den Text erst einmal für mich lesen, ihn dann für die Sprachaufnahme vorbereiten. Das kostet mich einen Tag.«
Letty rief mich
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