Neugier und Übermut (German Edition)
zweihundertjährigen Schlachtentradition dem Feind ohne Kampf überließ.
Dass dies nach europäischen Ehrengesichtspunkten gar keine so heldenhafte Tat war, nach der ein preußischer Offizier sich eher erschossen hätte, als sie vierzig Jahre später zu rühmen, das kam Bill Cody II. nicht in den Sinn. Es war aber auch keine unehrenhafte Übergabe.
Bei der Ardennenoffensive der deutschen Wehrmacht wurde William Garlows Einheit von den »Hunnen«, wie die Amerikaner die Germanen damals schmählich nannten, überrannt. Plötzlich lag die Front sechzig Meilen hinter ihnen, es fehlte Munition und Nahrung. Was blieb William Garlow anderes übrig, als aus ein paar geliehenen Taschentüchern eine weiße Fahne zu basteln und »Aufgabe« zu signalisieren.
Die Übergabe verhandelte er mit einem jungen deutschen Offizier, an dessen Namen er sich leider nicht mehr erinnern konnte. »Ich werde noch mal nach Deutschland fahren und ihn suchen«, sagte Bill II. und hob sein Glas. Der deutsche Offizier sei ein Gentleman gewesen, erinnerte er sich voll des Lobes über diesen Mann.
Nur mit Mühe konnte er den Widerstand Barbaras brechen und einen dritten Turkey bestellen. Ich musste mittrinken. Fred schwieg und schüttelte ablehnend den Kopf.
Bill Cody II. muss vom Charakter des Großvaters einiges geerbt haben. Das liegt ja in den Genen, wie wir inzwischen wissen.
»Denn beide Bill Codys«, sagte er, »fühlen sich erst richtig wohl, wenn sie unterm Arsch das Leder eines Sattels spüren.«
Buffalo Bill schob dauernd neue Projekte an, wie eben Cody gründen, dort einen Stausee anlegen, für die Bewässerung der Prärie sorgen. Das war der Großvater. Das Hotel »Irma« hatte er gebaut, damit es die Tochter ernähre, für die Enkel hat es schon nicht mehr gereicht. Ein wohl mehr an sich als an die Mündel denkender Vormund hat es damals verkauft, und leider wurden die großartigen Ölgemälde von Frederick Sackrider Remington, die in Hallen und Zimmern des »Irma« hingen, gleich aus dem Hotel entfernt und an Sammler verschachert. Heute werden Bilder des Western-Malers Remington bei Versteigerungen zu Millionen Dollar zugeschlagen. Einige hängen nicht weit vom Hotel »Irma« entfernt im Buffalo Bill Museum.
Fred saß immer noch schweigend neben uns. Dass er überhaupt gekommen war, verwunderte alle. Lag es am Besuch des deutschen Fernsehens? Denn Fred konnte seinen Bruder Bill nicht ausstehen. Während er sich bescheiden von Früchten der Erde und der Zucht von Tieren ernährte, war Bill ständig unterwegs. Er setzte auf Ölfelder und machte wieder einmal Pleite. Aber das ist in den USA nicht ehrenrührig. Wer Pleite macht, hat halt Pech. Für einen Konkurs muss sich hier niemand erschießen. Das blieb den Deutschen überlassen. Man versucht einfach ein neues Geschäft.
So gründete Bill II. eine Radiostation. Wo? Natürlich in Cody. In den Vereinigten Staaten ist es einfach, die Lizenz zum Betreiben eines Senders zu erhalten. Bürokratisch wird nur vorgeschrieben, dass der frei zu wählende Name der Station entweder mit einem W oder einem K anfangen muss. So wählte Enkel Bill das K. Und nannte seinen Sender einfach Kody. Und der funkt auch heute noch. Aber er gehörte ihm nicht mehr.
Nachmittags war ich zum Interview in den Sender Kody eingeladen gewesen. Ein junger, unbedarfter Moderator war stolz, endlich ausländischen Besuch ankündigen zu können. Das deutsche Fernsehen dreht eine Reportage in Cody. Und dann begrüßte er mich mit den Worten: »Heil Hitler! Nice to have you here …« Er meinte es nicht bösartig, sondern witzig. Ich ging nicht darauf ein.
Am Abend scherzte Bill über den Kindskopf. Ich solle das nicht so ernst nehmen. Hier lebe man sowieso entspannt. Das habe er gemerkt, als er sich in Cody als Rechtsanwalt niederlassen wollte. Ohne Fortune. »Die Gerichte haben hier wenig zu tun«, sagte er mir. »Wir hatten seit Gründung der Stadt noch keinen Mordfall zu verhandeln.« Es stellte sich heraus: Mörder verunglückten schon vor der Festnahme. Sie kamen gar nicht erst bis zum Schwurgericht. Ich konnte das alles nur erahnen, denn ganz präzis wollte es mir Bill Cody nicht erklären. Der Peacemaker kommt dann wohl zum Einsatz.
In Cody wird jeder für das respektiert, was er vorgibt zu sein. Hierher scheinen keine Steckbriefe zu gelangen. Wer neu in den Ort kommt und sagt, er heiße Joe Smith, der ist eben Joe Smith. Ob er woanders wegen Betrugs gesucht wird, das will hier keiner wissen. Benimmt er sich
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