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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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während seines Besuchs bei den UN schwärmte. Für kurze Zeit wurde Giovanella deshalb auch noch zusätzlich als Botschafterin in Paris akkreditiert. Schließlich war sie die einzige Diplomatin des Inselstaats.

    Einerseits war Giovanella reizend naiv. So hat sie mich zum Beispiel, als ich dort wieder Korrespondent war, in Paris besucht. Vorher war sie auf Einladung der Bundesrepublik in Bonn gewesen. Da sei sie ganz hilflos gewesen, sagte sie. Denn als sie ein Taxi nehmen wollte, standen da nur Mercedes-Autos. Ein Mercedes, sagte sie sich, wird aber um ein Mehrfaches teurer sein als ein normales Taxi. Aber kein normales Taxi kam vorbei. Nur Mercedes.
    Auf der anderen Seite konnte die erst 31 Jahre alte Giovanella Gonthier es mit den abgebrühtesten Profis aufnehmen. Denn ihr Präsident stand hinter all ihren, häufig auch allein getroffenen, Entscheidungen. Schließlich konnte sie ja nicht wegen jeder einzelnen Abstimmung Rücksprache nehmen. Die Seychellen müssen sparen, und Telefonkosten fallen bei einem Land ins Gewicht, das nur halb so viele Einwohner wie Würzburg hat.
    Weil sie sich unabhängig fühlte, bezog die kleine Botschafterin häufig präziser Position als die Vertreter der Bundesrepublik, die aus der steten Angst, einen Alliierten zu verletzen, sich selbst bei eindeutigen Entschließungen der Stimme enthielten. Doch ihr Selbstbewusstsein erzürnte gerade diejenigen, die es als besonders beleidigend fanden, Widerspruch von einer jungen Frau einzustecken.
    Giovanella verärgerte ein reiches arabisches Land, als sie gegen den Antrag stimmte, Israel aus der UNO auszuschließen. Das arabische Land schickte eine Delegation auf die Seychellen und bot dem Präsidenten reichlich finanzielle Hilfe an – für den Fall, dass er Giovanella ablöste. »So viel Geld«, entgegnete Präsident René der arabischen Delegation, »ist Giovanella gar nicht wert.« Und sie blieb – gestärkt.
    Allerdings trieb sie die – und das sagte sie auf Deutsch – »Wanderlust« um. Ihr Mann lebte als Anwalt in Chicago. Und seit vier Jahren führten sie nun eine Wochenend-Ehe. Als sie eine Fernsehdokumentation über Nicaragua sah, wurde die Wanderlust noch größer. »Ich würde gern für ein halbes Jahr dorthin gehen und in einem kleinen Bergdorf Kindern Unterricht geben«, sagte sie mir nachdenklich. Aber sie konnte nicht spanisch. Der Gedanke kam sowieso nur als Tagtraum ins Gespräch. Aber sie pflegte solche Träume, denn seit vier Jahren erlebte sie sich selbst als »Exzellenz« und meinte, dieses Leben voller Rituale in behaglicher Umgebung führe bei so vielen UNDelegierten zu einer Selbstzufriedenheit, in der die Menschlichkeit absterbe. Und davor hatte sie Angst. Lieber wollte sie der Weltpolitik den Rücken kehren, als nicht mehr Mensch zu sein.
    Noch vier Jahre blieb sie UN-Delegierte der Seychellen. Dann zog sie zurück zu ihrem Mann nach Chicago und widmete sich dem Thema der Humanisierung der Arbeitswelt.

Die Enkel von Buffalo Bill und der Ritt
durch die Rocky Mountains
    Der Cowboy lud die Patronen in die Trommel des Revolvers mit dem langen Lauf, ein echter »Peacemaker«, grinste leise vor sich hin und wartete auf meine Antwort. Aber ich hatte Angst. Wirklich Angst. Angst um mein Leben. Angst, er könnte daneben treffen.
    Er hatte mir angeboten, ich könnte seinen Cowboyhut behalten, wenn ich ihn aufsetzen, zehn Meter zurückgehen und mich dann so aufstellen würde, dass er mir den Hut vom Kopf schießen könnte. Der Cowboyhut war sehr schön und teuer. Dann wäre zwar ein Loch drin, eher zwei Löcher, ein Einschussloch und eines, wo die Kugel wieder ausgetreten ist, aber ich könnte stolz darauf verweisen, mir sei der Hut vom Kopf geschossen worden. So schön der Hut auch war, ich hatte Schiss!
    Unter dem freundlichen Gelächter der Bürger von Cody verließ ich die Bühne der Stadthalle. So als wäre sie Annie Oakley aus Buffalo Bills Wild West Show sprang eine muntere Frau an meine Stelle und mit einem Schuss flog der Cowboyhut durch die Luft. Nur durch unermüdlichen Einsatz beim Squaredance konnte ich mir anschließend wieder einigermaßen Respekt ertanzen.
    Ich hatte mir ganz bewusst den Ort Cody für eine Reportage ausgesucht. Ronald Reagan war Präsident der Vereinigten Staaten. Er stand kurz vor seiner Wiederwahl. Und mit ihm war eine Art des Denkens in das Weiße Haus eingezogen, das in Deutschland nur wenige begriffen. Er stand für eine Gesinnung, die in Cody noch lebendig sein dürfte. Die

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