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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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ordentlich, geht er höflich mit den Frauen des Ortes um, dann wird ihm keiner ein Haar krümmen.
    Die Freiheit des Individuums steht an erster Stelle aller Werte.
    Freiheit bedeutet, rück mir nicht zu nah. Aber in diesen Weiten kann man sich auch frei fühlen. Da steht nicht ein Schrebergarten neben dem anderen. Da wohnt man nicht in Reihenhäusern. Da ist eine Ranch so groß, dass man die nächste nicht sieht und vielleicht eine Stunde bis zum Nachbarn fährt.
    Freiheit bedeutet aber auch so wenig Staat wie möglich. Deshalb haben sich 2010 in Wyoming Bürger nicht nur zu einer Tea-Party oder in der Wyoming Liberty Group zusammengeschlossen, es gibt eben auch die Cowboy Tea Party. Sie bietet in Cody unter anderem einen Kurs von Deputy Sheriff Royal Guneman im verdeckten Tragen von Feuerwaffen an.
    Freiheit bedeutet hier, sich auch einmal eine neue Identität geben zu können. Und das geht weder den Staat noch sonst jemanden etwas an.
    Freiheit bedeutet so wenig Staat wie möglich. Der Cowboy braucht keine Gesundheitsreform, wie sie Präsident Barack Obama durchgesetzt hat. Wenn Vorbild »Buffalo Bill« drei- hundert Meilen am Stück reiten kann, wenn man Tausende von Bisons hintereinander erlegen kann, dann braucht man keine Zahnvorsorge.
    Und droht schließlich Gefahr vom Staat, der sich zu viel einmischt, kann der freiheitsliebende Cowboy immer noch ins Nachbarcounty »Hole in The Wall« fliehen.

    Diese Freiheit hat sich auch Bill Cody II. zeit seines Lebens gegönnt. Nach der fünften Frau besann er sich auf die alte Tradition der Familie. Bei der Bank wollte er zweitausend Dollar aufnehmen, um eine Ranch mit Pferden zu betreiben, für Feriengäste, die gern mit Bufallo Bills Enkel in die großartigen Rocky Mountains reiten. Die Bank zögerte, und Bruder Fred meinte, für so viel Geld würde er nicht bürgen. Geschwisterliebe!
    Inzwischen war Bill Cody endlich ein reicher Mann. Der Staat hatte ihm zehn Hektar gutes Weideland zwischen Cody und dem Yellowstone Park verpachtet. Darauf betrieb er seine Ranch. Mit über sechzig Pferden. Die Zimmer auf der Ranch waren ständig ausgebucht. Sorgen hatte er keine mehr, außer wenn Barbara ihm den vierten Turkey im Silver Dollar Saloon des Hotels »Irma« nun wirklich energisch verweigerte. Da stand Bill Cody auf, schüttelte mir die Hand zum Abschied und gehorchte, so, als wolle er sich auf ein sechstes Abenteuer nicht mehr einlassen.

    Fred und BilI haben sich inzwischen in die ewigen Jagdgründe verabschiedet. Aber fünfzehn Jahre später bin ich an Bills Grab getreten. Es liegt auf dem Friedhof des Old Trail Towns am Rand von Cody. Das Old Trail Town besteht aus einem Dutzend alter Holzhütten, die zwar nur aus der Zeit kurz vor der Gründung des Ortes stammen, aber geheiligt werden wie Reste des Limes in Deutschland. Auf dem alten Friedhof liegen berühmte Westernhelden. Wie etwa Jeremiah »Liver Eating« Johnson.
    Es gab drei wilde Männer namens Johnson im 19. Jahrhundert im Wilden Westen. Jeremiah war ein wilder Bergmensch, dessen Indianerfrau angeblich von den Crow-Indianern getötet worden war. Deshalb rächte sich Jeremiah. Er brachte Dutzende von Indianern dieses Stammes um. Und angeblich aß er, um sie zu erniedrigen, stets die rohe Leber seiner Feinde, denn die Crow-Indianer glaubten, aus der rohen Leber der von ihnen erlegten Tiere würde deren Lebenskraft auf sie übergehen. Dieser »Liver-Eating« Johnson lag nicht so schön wie Bill Cody II. Auf dessen glatt behauenem Grabstein ist oben sein Porträt abgebildet. Und darunter sind viele seiner »ruhmreichen« Taten aufgelistet. Das Grab liegt am äußersten Rand des Friedhofs und ist mit ein paar rohen Feldsteinen abgegrenzt. Dahinter weitet sich die kahle Steppe aus. Erst mehrere Reitstunden entfernt steigt die Hochebene in Richtung Rocky Mountains an.
    Die drei Turkeys im Silver Dollar Saloon mit Bill Cody II. hatten einen Traum ausgelöst. Die Suche nach der Freiheit auf dem Pferderücken. Das willst du in deinem Leben auch einmal tun, dachte ich wieder: wie ein Cowboy durch die Rocky Mountains reiten.

    Die Zeit verging.
    Reagan war in Washington für die zweite Amtszeit vereidigt worden. Ich zog von New York nach Paris. Sieben Jahre berichtete ich aus Frankreich. Auch Mitterrand war für eine zweite Amtszeit gewählt worden. Der deutschen Einheit folgte der Zusammenbruch der Sowjetunion. Kohl war nicht mehr Kanzler, Genscher nicht mehr Außenminister. In Berlin regierte sogar eine rot-grüne

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