Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers
originell »große Diebin«. Ein berühmtes Sonett von Giuseppe Gioacchino Belli, Roma capomunni, beginnt so: »Schon wegen der unzähligen Altertümer müssten wir alle hier geboren sein.«
Und wenn auch diese Zaubersonne noch mitspielt? Die Antwort erfährt man, wenn man in diesen Tagen durch die römischen Straßen wandert und die Gesichter und das Verhalten der Touristen beobachtet. Leicht taumelnd, ein staunendes und friedvolles Lächeln auf den Lippen, wirken sie, als streiften sie durch den schönsten aller Träume. Ihre Gesten halten inne, als stünde die Zeit still, die Japaner vergessen sogar das Fotografieren. Vielleicht denken die Menschen in ihren verschiedenen Sprachen: »Ich bin nicht hier geboren, sei’s drum. Aber wenn ich doch noch bleiben könnte …«
LASST UNS ARMEN ALTEN WENIGSTENS DIE LASTER
Das Alter ist eine bittere Angelegenheit, wie man weiß. Aber wenn dir ein Verwandter oder ein Freund hin und wieder heimlich ein kleines Bonbon zusteckt, um es zu versüßen, ist das in naher Zukunft möglicherweise ein Fall fürs Strafgesetzbuch, und dieser Gedanke könnte mir die Zeit, die mir zum Leben noch bleibt, ziemlich vergällen. Ich bin über siebzig, aber ich lasse es mir durchaus gut gehen: Ich genieße mein Bier, ohne Zigaretten halte ich es nicht aus, Schokolade esse ich für mein Leben gern. Von Eis ganz zu schweigen: Da streite ich mich sogar mit meinem dreijährigen Enkel, der das Tiefkühlfach schon aufbekommt. Ich weiß natürlich, dass zwischen einem kleinen Bonbon und den Dingen, die ich altes Schleckermaul gerade aufgezählt habe, Welten liegen. Doch im Alter habe ich gelernt, dass man sich gegen das Schlimmste, das einem unweigerlich bevorsteht, mit einer Dosis Pessimismus wappnen muss. Mit »wappnen« meine ich nicht, dass ich etwas meiden, sondern dass ich gerüstet, bereit sein sollte.
Manch einer wird mir Übertreibung vorwerfen und erklären, das Urteil des Kassationshofs, demzufolge das Verhätscheln eines alten Menschen strafbar ist, beziehe sich auf eine ganz andere Geschichte, die mit meiner Behauptung nicht das Geringste zu tun habe. Das fragliche Urteil war gegen die Familie einer alten Frau ergangen; sie hatte die Frau in der Befriedigung des einen oder anderen Lasters unterstützt, anscheinend um möglichst schnell an das Erbe zu kommen. Ich wiederhole: anscheinend. Denn man kann den Spieß auch umdrehen (es wundert mich, dass kein Rechtsanwalt darauf gekommen ist): Ich verweigere dir strikt das Glas Wein oder das Zigarettchen, du kriegst es nicht, auch wenn du vor mir auf die Knie fällst, der Entzug bringt dich um, und ich reiße mir, im Einklang mit Gesetz und Gewissen, das Erbe unter den Nagel. Klingt logisch, oder? Doch um noch einmal darauf zurückzukommen – mein Pessimismus rührt aus der Erfahrung, wie die Dinge in unserem schönen und über alles geliebten Land laufen: Manchmal kriechen sie langsamer als eine Schnecke, manchmal überholen sie ein Überschallflugzeug.
Der Richterspruch klingt mir ganz nach einem der Urteile, über die die Richter trefflich streiten können. »Ein guter Anfang führt auf einen guten Weg«, hat der Dichter Matteo Maria Boiardo geschrieben, und dieses Exempel des Gerichts scheint mir sehr gut zu sein und ziemlich weit zu führen. Außerdem kann es wie ein Stretchlaken in allen Richtungen gezogen werden. Ich will das mit dem erstbesten Beispiel erklären, das mit in den Sinn kommt. Wenn meine Frau zum Einkaufen geht, bitte ich sie, mir Bier oder Zigaretten oder etwas Süßes mitzubringen. Sie ist ein verständnisvoller Mensch, sagt ja und legt mir nur ans Herz, ein bisschen aufzupassen und es nicht zu übertreiben. Aber angenommen, irgendwann hängt der Haussegen schief und ich bin sauer auf sie, dann gehe ich zur Polizei und erstatte eine hübsche kleine Anzeige: Meine Frau verhätschelt mich. Das ist strafbar. Und es steht außer Frage, dass ihre Mitbringsel in meinem Alter ungesund sein können. »Aber du bist doch nicht unzurechnungsfähig«, könnte der ewige Besserwisser einwenden. Stimmt, aber auch daran hat das Gericht gedacht. Es muss nämlich keine komplette Unzurechnungsfähigkeit vorliegen, sie kann auch eingeschränkt sein. Und es wird doch niemand erwarten, dass man mit über siebzig noch so klar im Kopf ist wie ein Dreißigjähriger, oder? Eine gewisse natürliche Beschränktheit gibt es immer. »Aber was hätte Ihre Frau denn davon?«, könnte jemand anderes fragen (Leute mit Gegenargumenten finden sich
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