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Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers

Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers

Titel: Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Erledigung jeder noch so belanglosen Angelegenheit unglaublich in die Länge ziehen. Und um das Kind beim Namen zu nennen: Ich muss gestehen, dass ich gegen diese Verordnung bin, ich bin für die Erhaltung der Warteschlangen.
    Die Reformer sollten sich das gut überlegen. Je länger die Warteschlange, umso förderlicher ist sie zwischenmenschlichen Beziehungen: Ich weiß von Witwen, die in der Schlange vor der Pensionskasse Witwer kennen gelernt und später geheiratet haben, von Leuten, die Freunde wurden, von Menschen, die nicht freiwillig, sondern schicksalsbedingt einsam waren und eine neue Familie gefunden haben. Die Schlangen fördern auch die Kultur: Man liest Zeitung oder unterhält sich über das, was man im Fernsehen gesehen hat. Ein junger Freund von mir, ein Doktor der Rechte, der als Bote arbeiten muss, hat vor einem Bankschalter den gesamten Proust gelesen. Und schließlich hilft die Warteschlange, Spannungen abzubauen: Müdigkeit, Nervosität, das Wissen um die verlorene Zeit verwandeln die Warteschlängler (so könnte man sie nennen) in fluchende, heulende Wesen. Und damit erledigt sich alles hier, innerhalb der vier Wände einer Amtsstube. Stellen Sie sich vor, die Warteschlängler ließen ihre Wut an der Familie aus oder reagierten sich auf der Straße ab! Im Vergleich dazu nähme sich die Französische Revolution wie ein Kindermärchen aus.

GENÜSSLICH EIDECHSELN
    Früher fehlte in keinem Haus ein Barometer: Unseres war eine Art Wanduhr, natürlich viel kleiner, in einem hölzernen Jugendstil-Rahmen. Auf dem Zifferblatt standen viele Zahlen, deren Bedeutung kein Familienmitglied jemals zu enträtseln vermochte; wichtig waren nur die Aufschriften von »schön und beständig« bis »Unwetter«, über die ein dünner Zeiger wanderte. Jeden Abend, den der liebe Gott uns schenkte, klopfte meine Mutter mit dem Zeigefinger leicht auf das Glas des Barometers und beobachtete sehr aufmerksam die winzigste Schwankung des Zeigers, sagte dann »na ja« und ging ins Bett.
    Der Sinn dieser Bemerkung, in der eine gewisse Skepsis gegenüber den Prognosefähigkeiten des Instruments lag, erschloss sich mir erst, als ich schon größer war und eines Tages ein schreckliches Unwetter niederging; meine Großmutter hatte sich, wie immer in einem solchen Fall, in eine fensterlose Kammer eingeschlossen und auf einen Holzstuhl gesetzt, von Kopf bis Fuß in eine Wolldecke gehüllt. Zu hören war nur ihre erstickte Stimme, die Stoßgebete zum Himmel schickte und Rosenkränze betete. Mitten in dem Tohuwabohu fiel mein Blick auf das Barometer: Es stand ungerührt auf »schön und beständig«.
    Als das Unwetter vorüber war, sagte ich zu meiner Mutter, das Barometer sei kaputt. Sie antwortete, das sei nicht der Fall. Ich entgegnete, ich hätte es beobachtet und es habe sich bei dem Getöse nie von »schön und beständig« wegbewegt. Sie erklärte, sie habe vor Urzeiten den Zeiger in dieser Stellung fixiert. »Warum denn?«, fragte ich. Sie antwortete, so könne sie beruhigt schlafen gehen, und dieses »na ja« bedeute nur, dass sie wisse, wie die Dinge wirklich stünden.
    Nun beschleicht mich nach etlichen Tagen »schön und beständig« der Verdacht, dass jemand das Barometer auf ähnliche Weise ausgetrickst hat wie meine Mutter, nur umgekehrt. Ich bin zwar nicht wetterfühlig wie mein guter Commissario Montalbano, verfolge aber dennoch interessiert den Wetterbericht im Fernsehen. Da tauchen Abend für Abend Wölkchen und leichte Regenfälle auf, die tags darauf unweigerlich von einer frühlingshaften Sonne Lügen gestraft werden. Wie ist das zu erklären? Die Leute, die etwas vom Wetter verstehen, haben dafür immer irgendwelche fadenscheinigen Erklärungen parat.
    Ich muss zum Glück nichts erklären und habe zum Glück nichts anderes im Sinn, als diese unerwarteten und gesegneten Tage zu genießen, an denen ich in der römischen Sonne noch eidechseln kann. Als Sizilianer habe ich in Sachen Sonne eine gewisse Erfahrung: Die römische Sonne ist, vor allem wenn sie theoretisch gar nicht da sein dürfte, von einer ganz anderen Art. Sie sorgt für Entspannung, ist versöhnlich und macht einem den wahren Sinn des Lebens und den Unsinn extremer Leidenschaften begreiflich. Und die Stadt selbst zeigt durch ihr Gestein, das dafür geschaffen scheint, in der Sonne erlebt zu werden, ihr heiteres, liebliches Gesicht; es kümmert sie nicht im Geringsten, wenn man sie »lästige Schlampe« nennt, wie es ein Dichter tat, oder weniger

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