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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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lautet: ›Wenn wir aussteigen, dann sind die doch weg.‹ Die Polizei schaut also tatenlos zu, wie Straftaten geschehen. Damit untergraben wir die Regeltreue der Mehrheit unserer Bevölkerung. Daneben müssen wir feststellen, dass unser Rechtsstaat mit seinen Regeln und auch seiner Justiz in einige vor allem arabisch geprägte Milieus nicht hineinreicht, seine Rechtsordnung gilt dort nicht wirklich, wird jedenfalls nicht durchgesetzt. Kommt von dort dann ein Fall zu uns, können wir gegen Absprachen und Schweigen nichts machen.«
»Wir brauchen eine Ausländerpolitik, die ehrlich geführt wird, und nicht eine, die über Jahre alles schleifen lässt und damit massenhaft Härtefälle produziert. Ich habe in einem Bezirk jahrelang an einem Konzept zur Jugendkriminalität mitgearbeitet. Irgendwann, als wir glaubten, etwas Gutes vollbracht zu haben, kam der Datenschutz, und wir schmissen alles in den Papierkorb. Die eine Dienststelle darf nicht erfahren, was die andere macht. Das ist doch völlig krank. Niemand darf etwas voneinander erfahren, alles bleibt im Gestrüpp des Datenschutzes hängen.
Der dickste Abschnitt im Jugendstrafvollzugsgesetz ist der Datenschutz. Ich will eine Geschichte erzählen von einer Mutter, die als Analphabetin weder lesen noch schreiben konnte. Ihr Sohn schwänzte immer die Schule. Das Amt schrieb ihr Brief auf Brief, Bußgeldbescheid auf Bußgeldbescheid. Es dauerte bis zum 14. Lebensjahr ihres Sohnes, bis die Polizei kam und ihn zur Schule brachte. Das waren acht Jahre sinnlosen Behördenschlafs.«
    Ich denke, es muss uns aufrütteln, wenn Menschen, die den jungen Leuten zugewandt sind, solche harten wie auch bitteren Worte finden. Wir können auf zwei Arten darauf reagieren. Wir können versuchen, daraus zu lernen und die Verhältnisse, die die Entwicklung begünstigen, zu verändern. Oder wir können sie diskreditierend abwürgen. Das erste wäre der anstrengendere Weg, das zweite der übliche.
    Die Schwestern der Streetfighter sind lebenstüchtig und ehrgeizig. Warum sind ihre Brüder so anders? Hierauf gibt es eine schöne Antwort. »Lernen ist wie Puppen anziehen, lernen ist schwul.« Da ist es wieder, das Merkmal Pascha. Bei dieser Denkart bleibt keine Alternative zum Umhauen eines anderen. »Deutet denn wenigstens die sinkende Jugendkriminalität auf eine Veränderung der Verhältnisse hin?«, wollte ich wissen. Da war bei allen meinen Gesprächspartnern deutliche Zurückhaltung: »Es kann auch daran liegen, dass wir neben dem Geburtenrückgang auch einen Anzeigenrückgang haben.« Man könne heute den Jugendlichen nicht ernsthaft raten, Anzeige zu erstatten. Sie können als Zeugen nicht geschützt werden. Und sie haben keine Großfamilie im Hintergrund, keinen siebten, achten und neunten Cousin, der sie schützen und für sie »mal etwas klarmachen« kann. Sie haben auch keine Familien, die sich untereinander Alibis verkaufen, sich absprechen und alles über den Friedensrichter regeln. Und sie begegnen ihren Drangsalierern jeden Tag wieder auf dem Schulweg, im Bus und auf dem Bolzplatz. Was bleibt ihnen? Die jungen Leute weichen aus, im Alltag und bei der Polizei. Und was können wir tun?
    Eine Antwort auf diese Frage lautete: Jugendrichterin Kirsten Heisig. Sie wollte sich partout nicht mit der traditionellen Rolle der Justiz abgeben. Wir Richter sind nicht das hilflose letzte Glied in der Kette, das nur noch über Geschehenes zu urteilen hat, ohne einen Einfluss auf die Entwicklung nehmen zu können. Auch wir tragen Verantwortung dafür, ob junge Menschen immer wieder vor uns stehen und abgeurteilt werden müssen oder ob sie doch noch den Weg in ein normales Leben finden. Das waren ihre Gedanken und ihre Triebfeder, über die man nächtelang mit ihr diskutieren konnte. Wenn sie am frühen Nachmittag die Robe auszog, stand sie eine Stunde später in Neukölln auf der Matte: Sie stellte sich den jungen Leuten und organisierte Gesprächsabende mit türkischen und arabischen Eltern. »Ich will eure Jungs nicht ins Gefängnis stecken, und wenn ihr es auch nicht wollt, müsst ihr mir helfen«, rief sie im Rathaus den Eltern zu. Sie bildete Polizeibeamte fort und war ein Wirbelwind in der Berliner Jugendgerichtsbarkeit.
    Leicht wurde es ihr nicht gemacht. Aber sie war vor Ort ein Idol. Sie gab Menschen Kraft, und sie zeigte, dass sie bereit war, mit hartem, gutem Beispiel voranzugehen. Sie war weiß Gott keine Heilige. Der Fußball und ein Glas Bier passten genauso gut zu ihr wie ihr

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