Neukölln ist überall (German Edition)
Teil des Wohlfühlfaktors zu werden, kannte die Empörung des damaligen Polizeipräsidenten keine Grenzen. Er erklärte in öffentlichen Interviews, dass die Berliner Polizei keine Belehrungen brauche und dass das ein alter Hut und längst geübte Praxis in Berlin sei. Er oder sein Umfeld ließ unter den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten streuen, dass der Neuköllner Bürgermeister sich verächtlich über die Polizeiarbeit geäußert habe. Das war damals recht kleinkariert und unprofessionell. Insbesondere auch deshalb, weil er sich stillschweigend nach Rotterdam begeben haben soll, um meine Reise nachzuzeichnen und meine Gesprächspartner zu seinen zu machen. Aber das sind sicher alles üble Gerüchte. Er ist nicht mehr im Amt, ich schon, und damit hat das Leben ja entschieden.
Unabhängig von solchen Menscheleien bin ich nach wie vor der Auffassung, dass gerade in Brennpunktlagen der enge Zusammenschluss zwischen Polizei, Verwaltung und Bürgerschaft unabdingbar ist. Die Polizei benötigt hier für ihre extrem schwierige Arbeit in den gesellschaftlichen Niederungen und im Wettbewerb mit der organisierten Kriminalität jede nur mögliche Information und jede auch indirekte Unterstützung. Ich denke, auf der Baustelle kann man noch arbeiten. Bevor sich aber wieder einige Mimöschen auf den Schlips getreten fühlen, will ich das an dieser Stelle nicht vertiefen. Zumal das, was ich in Rotterdam und in London gesehen habe, in Deutschland aufgrund unserer Geschichte schnell mit Begriffen wie Blockwart oder Abschnittsbevollmächtigter oder Denunziation belegt werden würde.
Es erregte sich natürlich nicht nur der Polizeipräsident. Nein, auch die damalige SPD -Fraktion im Abgeordnetenhaus war nicht sehr glücklich mit den Presseberichten über meine Ausflüge und die Vorschläge, das eine oder andere vielleicht einmal zu diskutieren. Eigentlich ist »nicht sehr glücklich« falsch formuliert. Sie fanden es richtig blöd. Nun, das war für mich nichts Neues. Ich hatte bis dahin schon öfter Gelegenheit, das kritisch solidarische Verhalten von einigen Teilen der Funktionärskaste meiner Partei in Berlin auf dem Konto Lebenserfahrung zu verbuchen. So richtig Schwung kam aber dann in die Angelegenheit, als in der Fraktion der Antrag gestellt wurde, mich zu einem Input einzuladen. Dieser Antrag wurde mit der Begründung »Wir sind eine politische Fraktion, wir benötigen keine Reiseberichte von Bezirkspolitikern« mit Abscheu zurückgewiesen. Diese unpolitische Haltung machte in der Berliner politischen Landschaft und insbesondere in den Medien sofort die Runde. Andere Parteien schlachteten den Vorgang natürlich mit Wonne aus.
Die SPD -Fraktion des Abgeordnetenhauses hatte sich einen Bärendienst erwiesen. Sie stand mit dem Rücken zur Wand und versuchte sich in Schadensbegrenzung. Ich bin ihr heute noch für diese Aktion Wasserschlag dankbar. Meine Anerkennung durch die Berliner Bevölkerung, die mir den Rücken stärkte, machte infolge dieses allgemein als unfair empfundenen Vorgangs einen Riesensprung nach vorne. Ich konnte mich in der Stadt kaum noch bewegen, ohne dass mir jemand seine Solidarität bekundete und gleichzeitig seine Distanz zur SPD im Abgeordnetenhaus zum Ausdruck brachte. Der Höhepunkt war, dass ich eingeladen wurde, um vor dem Innenausschuss des Parlaments von meinen Erfahrungen zu berichten, und der Tagesordnungspunkt in der Sitzung mit der Mehrheit der SPD und der Linken wieder abgesetzt wurde. Damit war ich wieder ausgeladen. Das gute Dutzend anwesender Journalisten war dankbar für dieses Thema. Es lieferte Stoff für ihre Berichterstattung der nächsten Tage.
Ich persönlich habe damals diesen Dilettantismus in der politischen Arbeit nicht nur wegen des Imageschadens für die Partei bedauert, sondern auch, weil durchaus überlegenswerte Praktiken so noch nicht einmal einer Diskussion zugeführt werden konnten. Bis heute sind Zeugnisausgabe nur an die Eltern, formale Beziehungen Jugendlicher zur Polizei, Safer-Neighbourhoods-Teams, Ortsteilvernetzung, regionalisierte Staatsanwaltschaft und Ähnliches keine Überlegung wert. Wie so oft in Berlin war und ist man sich selbst genug, ohne zu merken, dass auch andere Völker hübsche Töchter haben.
»Here is Glasgow. We are scottish, not british.« Mit dieser Ansage warteten einige Überraschungen auf uns.
Verschiedene der nachfolgend beschriebenen Verhaltensweisen sind nur aus der jüngeren Geschichte der Stadt zu verstehen. Die traditionelle
Weitere Kostenlose Bücher