Neukölln ist überall (German Edition)
konfliktfrei mit der europäischen bezeichnen kann. Zugegeben, die Menschen, die wir trafen und mit denen wir sprachen, waren Angehörige der bürgerlichen Mittelschicht. Geschäftsleute, Verwaltungsangestellte oder Sozialarbeiter. Wenn wir nach Problemen fragten, wurden uns sehr zurückhaltend Episoden geschildert, die sich eher auf Vorgänge innerhalb der muslimischen Glaubensgemeinschaft bezogen. So zum Beispiel den Konflikt der Alten mit den Jungen über die Frage, wie kampfbereit die Muslime sein müssen oder ob sie sich nicht stärker auf ihre Wurzeln besinnen und ein strengeres muslimisches Leben führen sollten. Daran haben die Alten aber überhaupt kein Interesse. Sie haben sich mit der Gesellschaft arrangiert und sind deren geachteter integraler Bestandteil – »we are scottish« eben. In keiner Stadt, die wir bereisten, habe ich den Ruf des Muezzins entfernter gewähnt als in Glasgow, obwohl er hier praktisch am nächsten war.
Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass in den Räumen der Schulen jeden Tag von 17:00 bis 19:00 Uhr Koranunterricht in arabischer Sprache stattfindet. Es kümmert auch niemanden, ob es Lehrkräfte gibt, die verstehen können, was dort gesprochen und gelehrt wird. Zur Ramadanzeit kommt der Imam in die Schule und hält dort das Freitagsgebet. Auf meine Frage, ob sie die Predigt verstehe und ob es sie interessiere, was gepredigt werde, antwortete mir die Schuldirektorin entwaffnend zweimal mit Nein. Grenzen gibt es dann aber doch. Bei einer früheren Forderung nach geschlechtergetrennten Unterricht war die Stadtverwaltung unnachgiebig. Das Thema verschwand von der Bildfläche und wurde nie wieder auf die Tagesordnung gesetzt.
Das muslimische Leben in Glasgow erschien uns recht einheitlich. Unterschiedliche Strömungen des Islam leben sich – anders als bei uns – nicht aus. Der Alltag sieht insbesondere für niedrigqualifizierte Menschen so aus, dass die Mütter ihrer traditionellen Rolle im Haus nachgehen und die Väter mit mehreren Jobs den Lebensunterhalt sicherstellen. Ausgesprochen bemerkenswert fanden wir, dass es üblich ist, die Sommerferien im Heimatland mitunter über Monate auszudehnen. Die Schulbehörde schreitet nicht ein, denn es herrscht die »Überzeugung«, dass die Kinder im Heimatland zur Schule gehen und somit dort die Schulpflicht erfüllen. Schule ist Schule, egal wo, und damit ist dem Gesetz Genüge getan. Für uns Preußen war diese Haltung dann doch etwas zu leger. Ich könnte mir aber vorstellen, dass dieser Umgang mit den Ferien auch bei mir in Neukölln recht schnell Anhänger finden würde. Die Ansätze dazu sind vorhanden.
An der von uns besuchten Mittelschule waren etwa 30 % der Schüler Muslime, und von den 100 Lehrkräften hatten zehn einen Migrationshintergrund. Insgesamt kommen in Glasgow die Einwanderer hauptsächlich aus den Ländern Pakistan, Slowenien, Tschechien, Polen, Kongo und Sri Lanka.
Die schottischen Kinder besuchen tendenziell eher die zwölf Privatschulen, die es neben den staatlichen gibt. Alle Schulen gelten als sicher. Der Gebrauch und das Mitführen von Waffen sind unüblich. Es gibt eine klare Trennung. Außerhalb des Schulgeländes gehören Waffen durchaus zur Grundausstattung junger Männer. Offensichtlich gibt es aber auch Schulen, in denen die Sicherheitslage doch nicht so klar einzuschätzen ist. Sie haben eine eigene Polizeistation auf dem Grundstück, den sogenannten Campus Police Officer, der über ein Büro im Gebäude verfügt. Diese direkte Präsenz der Polizei in der Schule wird je zur Hälfte durch Schulverwaltung und Polizei finanziert. Es ist uns trotz noch so häufigen und geschickten Fragens nicht gelungen herauszufinden, nach welchen Kriterien eine Schule eine Polizeistation auf dem Gelände erhält. Die Schule, die wir besucht haben, hatte keine. Aus den Formulierungen der Direktorin war aber unschwer herauszuhören, dass sie mit diesem Umstand haderte. Und dass sie wohl auch gern eine solche Polizeistation gehabt hätte. Vielleicht hat man uns ja doch nicht alles aus dem Alltag aufs Butterbrot geschmiert.
In Schottland beginnt die Strafmündigkeit bei acht Jahren. Zur Erinnerung: In England sind 10-Jährige strafmündig. Die Staatsanwaltschaft wird aber nur in sehr drastischen Fällen selbst tätig. Insofern ist das niedrige Strafmündigkeitsalter eher ein Papiertiger. Bisher gibt es kein eigenes Jugendstrafrecht. Wenn Jugendliche als kriminalitätsbelastet auffallen, so tritt ein Children’s
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