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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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sie anfingen, Kinder gleich serienweise herauszubringen, wie andere Bücher, lachten über sie, als sie erzählte und erzählte und erzählte, und beschwerten sich, das sei doch viel zu lang, und wann komme endlich Brad Pitt? Aber bei ihr hatte das nie so funktioniert. Sie hatte ihrer Fantasie glauben müssen, um zu ihrem Höhepunkt zu kommen. Ihre Helden waren wirkliche Menschen, die sie kannte, und sie musste sich einen überzeugenden Grund für ein Treffen mit ihnen überlegen, und natürlich auch einen Ort –
    Wo also würde sie ihren Mossad-Agenten treffen? Sie führte sich und ihn in eine kleine Bar auf dem Flughafen in Berlin, im Hintergrund lief Into my arms von Nick Cave. Ihr Flug verspätete sich wegen dichtem Nebel über der Stadt, und nach einem kurzen und geistreichen Dialog in der Bar, in dessen Verlauf er sie einmal wie zufällig am Oberarm berührte und sie wie aus Versehen mit ihrem Haar (in ihrer Fantasie war es lang) beinah sein Gesicht streifte, zogen sie sich in die VIP-Suite zurück, die extra für ihn gebucht worden war. Zuerst wechselten die Bilder nur langsam: Der Mossad-Agent mit den traurigen Schultern war mit ihr sehr zart, verglichen mit dem, was sie von einem professionellen Killer erwartete, und streichelte lange nur ihr Gesicht und sah sie an, als sei sie die schönste Sache auf der Welt, erst dann glitt er hinab zu ihrem Hals, zu den Schultern, und erst nachdem sie ihm ihre Fingernägel in die Schultern gerammt und ihn zu sich gezogen hatte, zwischen ihre Beine, küsste er das kleine Delta zwischen ihren Halsschlagadern und stieg von dort küssend und beißend weiter hinab und noch weiter und hielt kurz unter dem Bauchnabel inne, mit Absicht. Um sie verrückt zu machen.
    *
    Der Knabe lag auf den Eisenbahnschienen. Er sah aus wie auf dem Bild in der Zeitung, hatte aber Joavis grüne Augen. Sie bemerkte ihn bei einem Spaziergang von einem Hügel mit Chrysanthemen aus und rannte zu ihm, wobei sie achtgab, keine Chrysanthemen zu zertreten, denn die stehen unter Naturschutz. Sie rannte und rannte, rannte und rutschte, ab einem bestimmten Punkt war es wie Skifahren, und sie neigte sich nach links und nach rechts, um die Chrysanthemen nicht zu verletzen, die plötzlich groß wie Slalomstangen waren. Als sie die Schienen erreichte, lag der Junge noch da. Sie legte die Hand auf die Schienen und spürte, wie das Beben immer stärker wurde. Der Zug kommt näher, sagte sie ihm. Und er rührte sich nicht. Sie schaute entsetzt in Richtung des Tunnels, versuchte, ihn am Arm zu packen, wegzuzerren. Er war schwer wie ein Fels, und sie konnte ihn noch nicht einmal um einen Millimeter bewegen. Sie hörte den Pfiff der Lokomotive im Tunnel, langgezogen und eindeutig. Tomatensuppe im Winter, sagte sie zu ihm. Er rührte sich nicht. Besonders schöne hebräische Worte, ein gutes Gespräch mit einem Freund, Fahrradfahren! Sie machte weiter, schon verzweifelt. Der Knabe blieb liegen. Seine Joavi-Augen schauten aufgerissen zum Himmel. Es sah aus, als höre er sie schon nicht mehr, aber sie probierte es weiter, flehend, der Meshushim-Pool auf dem Golan, das Riff am Delfinarium in Eilat bei Sonnenuntergang, die Simpsons, deine Mutter, deine Schwester – der Zug kam aus dem Tunnel und fuhr auf sie zu, da legte sie sich auf die Gleise, neben ihn. Vielleicht würde ihn das genug erschüttern.
    Einen Moment bevor der Zug sie beide überfuhr, wachte sie auf. Erschöpft. Die erste Erleichterung verflog schnell, stattdessen machte sich in ihrem Körper bittere Enttäuschung breit.
    Sie hatte geglaubt, nachdem sie ihrer Mutter alles erzählt hätte, würden die Albträume aufhören. Sie zog das Tagebuch heraus und schrieb alle Details des Traumes auf, an die sie sich erinnerte, und schrieb außerdem: Das Herz auszuschütten ist manchmal eben nicht mehr, als das Herz ausschütten.
    Danach schob sie das Federbett von sich; es schauderte sie leicht. Juli, und die Luft hier war kalt. Ejtan duscht sich jetzt bestimmt, dachte sie. Spült sich den Nachtschweiß ab. Wie er im Sommer schwitzt. Schade, dass man Schweiß nicht entsalzen kann. Allein aus seinem Körper könnte man ganz Ramat Gan bewässern. Schade auch, dass man nicht ein halbes Jahr hier und ein halbes Jahr dort leben kann. Ein halbes Jahr im Nahen Osten und ein halbes Jahr im aufgeklärten Europa. Vergessen, dass hier die Schoah war. Vergessen, dass Nazischergen uns von diesem Kontinent vertrieben haben. Aber warum eigentlich nicht? Sie nahm zwei Blusen aus

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