Neuland
behauptete, Ejtan sei nicht –
Hey, sagte sie zu ihm, es lohnt sich, noch ein bisschen länger hierzubleiben – du wirst von Tag zu Tag poetischer.
Wie läuft’s mit deiner Mutter?
Du hast eine schöne Stimme, weißt du das?
Danke, sagte er sachlich und verpasste die Gelegenheit (einmal, als er zu einer seiner Ausstellungen nach Italien gefahren war, hatte sie versucht, ihn zu Telefonsex zu verführen, aber er hatte mittendrin losgelacht, alles kaputtgemacht und sich dann entschuldigt, dass seine Fantasie weniger entwickelt sei als ihre, und versprochen, wenn er zurück sei, alles zu tun, was sie wolle. Wenn sie wolle, auch schon im Parkhaus auf dem Flughafen).
Wir hatten einen richtig guten Tag heute, Mutter und ich, sagte sie. Wir waren Kaffee trinken, und ich habe ihr die Sache mit derSendung erzählt, und sie war schwer in Ordnung. Natürlich hat sie mich auf dem Rückweg dann doch genervt. Sie fing damit an, das sei ja kein Zufall, die israelische Gesellschaft verliere alle ihre Werte, tanze nur um das goldene Kalb. Du kennst ihre Reden. Und die sind noch penetranter, wenn sie sie in Berlin schwingt. Aber ich hab mich beherrscht. Ich hab sie nicht angeschrien. Wie du gesagt hast: Ich geb ihr eine Chance.
Schön, sagte er. Wie viel hast du noch? Einen Tag? Wenn ihr den auch noch schafft, seid ihr echt gut.
Ja, stimmte sie zu und flüsterte dann in den Hörer, was sie schon die ganze Zeit sagen wollte: Wenn ich mich entscheiden sollte, nicht zu der Sendung zurückzukehren, wäre das schlimm?
Was soll das heißen, nicht zurückkehren?, fragte er, ich versteh dich nicht.
Kündigen, sagte sie.
Jetzt hör mal, meinte er. Ich weiß nicht, das ist doch ein spitze Job, und du bist da echt gut drin. Ich würde nicht so schnell auf ihn verzichten.
Vielleicht hast du Recht, sagte sie. Vermutlich hast du Recht. Wie sehr hatte sie gehofft, dass er einfach sagen würde: Ja, mach das, Hauptsache, du bist glücklich. Aber warum frag ich ihn überhaupt – in ihr erwachte eine ganz andere Stimme –, das ist ja nicht unser beider Entschluss, das ist mein Entschluss, es ist mein Leben.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatten, legte sie das Telefon auf die schwere Kommode, die neben ihrem Bett stand. Ihr erster Blick fiel auf den kleinen, hübschen Kronleuchter, senkte sich dann und wanderte über die Möbel im Zimmer. Ein sachlicher Schreibtisch. Eine kleine Bibliothek mit Büchern, deren ausgeblichene Rücken nicht gerade zum Lesen einluden. Ein Kleiderschrank mit zu schweren Türen. In so einem Zimmer müsste man bunte Bilder aufhängen, ein bisschen die Düsternis vertreiben, doch stattdessen hingen dort Porträts von Leuten mit ernsten Gesichtern. Wer waren diese Leute? Und was machte sie hier, unter ihnen? Und wie kam es, dass jeder Versuch von ihr, irgendwo dazuzugehören,damit endete, dass sie sich im Exil fühlte? Sie schloss die Augen, streifte sich die Decke über die Hüften und schob einen Finger in ihren Slip, wollte mit einer lustvollen Welle die scharfe Einsamkeit vertreiben, die ihr plötzlich den Hals zudrückte.
In ihren Fantasien hatte sie feste Gäste. Ofer, Ejtans guter und treuer Freund aus Jokneam; zwischen ihnen war nie etwas gewesen, außer einem Kuss auf die Wange, der sein Ziel verfehlte und den Rand ihrer Lippen gestreift hatte. Ein Kellner aus dem Café in ihrer Straße, dessen Augen sie immer so feurig anschauten, und ein Kollege ihres Vaters, der sie mal beim Autostopp von Haifa nach Tel Aviv mitgenommen hatte. Er hatte nichts gesagt und nichts versucht, und dennoch war sie sich beim Autobahnkreuz Gaash sicher gewesen, dass er gleich in einen Feldweg abbiegen würde, und unsicher, ob sie um Hilfe schreien oder sich hingeben würde, aber plötzlich –
Plötzlich drang ein neuer Gast in das Separee ihrer Lasterhaftigkeit. Der Mossad-Agent vom Flughafen, der Mann mit den Fotos. Merkwürdig, dachte sie einen Augenblick lang, ich hatte ihn ganz vergessen, und sofort gab sie sich hin und begann eine Handlung zu spinnen.
Beim Junggesellinnenabend von Carni – ein deprimierender Abend, in dessen Verlauf sie erfuhr, dass Carni schon im vierten Monat war, womit sie als Einzige übrig blieb und sich vorkam wie die Letzte im Rennen –, da hatten sie eine Art Poker gespielt, bei der jede, die verlor, eine ihrer sexuellen Fantasien erzählen musste, und da hatte sie verstanden, dass sie die Einzige war, die richtige Handlungen erfand. Die früher ihre engsten Freundinnen gewesen waren, bevor
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