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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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mir sagen, dass sie alle etwas Unnatürliches tun?
    Erst mal ist es nicht die Hälfte, erklärte ihre Mutter. – Sie mit ihrer akademischen Genauigkeit! Die Seelenspule von Inbar begann sich aufzuheizen, auch in den schmerzlichsten Momenten bestand ihre Mutter auf der Präzision der Untersuchungsdaten! –, und außerdem sag ich nur: Du solltest die wahren Gründe herausbekommen, warum du selbst keine Kinder kriegen willst.
    Kannst du das nicht einfach so akzeptieren?! – Jetzt bebte sie schon am ganzen Körper, und es störte sie auch nicht, vielleicht gefiel es ihr sogar, dass sich ein Mann im Anzug, der beim Gehen in sein Handy sprach, zu ihnen umschaute.
    Nicht so laut, Inbar, du musst auch mich respektieren.
    Will ich aber nicht!, schrie sie, und dieser Schrei kam nicht mehr von innen, sondern aus dem Wunsch, ihre Mutter in Verlegenheit zu bringen.
    Warum akzeptiert Papa meine Entscheidungen immer, und du verachtest sie? Warum?
    Na gut, Papa, der ist ein Heiliger, murmelte ihre Mutter.
    Dieses Murmeln von ihr, dachte Inbar. Es gibt nichts, was mich mehr zum Kochen bringt.
    Als ob sie etwas nur zu sich selbst sagt, aber das stimmt nicht.
    Papa ist nicht heilig, aber er hat mich wenigstens lieb, sagte sie.
    Und vor lauter Liebe hat er sich schon zwei Jahre nicht mehr die Mühe gemacht, dich zu besuchen.
    Weißt du was, Hanna? Auch wenn ich mal ein Kind haben werde, wirst du es bestimmt nicht sehen dürfen. Damit du ihm nicht sein Selbstvertrauen zerstörst, so wie du meines zerstört hast, mit deinen Bemerkungen.
    Aber Inbari, ich wollte doch immer nur … ich will doch nur, dass es dir …
    Ich fahre, unterbrach sie ihre Mutter und trat in die Pedale. Du kannst dir diese Strampler weiter anschaun, wenn dich das glücklich macht. Wir treffen uns in einer Stunde am Eingang zur S-Bahn.
    *
    Raus , Inbar, raus! So ein schöner Tag in Berlin. Inbar auf dem Fahrrad, strampelte, sauste fliehend vorbei an Parks und Flüssen, befolgte Verkehrsschilder, überquerte Brücken; die Landschaft draußen wechselte genau im Takt der Pedale, die innere Landschaft schneller, erst blinder Hass auf ihre Mutter, an den sich eine Kindheitserinnerung knüpfte, Schabbatmorgen, alle gehen hinunter an den Strand, sie ist sechs und hisst bereits die Flagge der Separatistin, ich will nicht mitkommen, ich will zu Hause bleiben. Kommt gar nicht infrage, sagt ihre Mutter, ein Kind in deinem Alter allein zu Hause, und Vater versucht zu entschärfen, warum nicht, Hanna, Inbar ist so ein verantwortungsvolles Mädchen, doch ihre Mutter gibt nicht nach, kommt gar nicht infrage, und wenn plötzlich jemand einbricht, und sie ist gezwungen, ans Meermitzukommen, und versucht, absichtlich verloren zu gehen, um es ihnen zu zeigen, setzt sich in den Schatten des Sonnenschirms einer anderen Familie, sehr weit weg von ihnen, tut so, als baute sie eine Sandburg, doch nach ein paar Minuten bekommt sie’s mit der Angst zu tun und versucht, zu ihnen zurückzukehren, und sieht sie plötzlich nicht mehr, sieht sie nicht mehr zwischen all den nackten Oberkörpern, dem Sonnencreme-Geruch und dem Tock-Tock der Beachballschläger, und sie irrt zwischen Sonnenschirmen und den wie ein großer Teppich ausgebreiteten Handtüchern umher, zu wem gehörst denn du, Kleine, und ihre Fußsohlen brennen vom glühend heißen Sand, ihre Augen brennen vom Schweiß, der durch die Augenwinkel eindringt, und es gibt kein Zeichen, kein Zeichen, kein Zeichen, bis endlich jemand ihren Namen über Lautsprecher ausruft, und neben der Hütte der Lebensretter wartet ihr Vater auf sie, mit seiner altmodischen Badehose und mit seinem damals noch kleinen Bauch und seinen starken Armen, die sie in die Luft wirbeln und mit ihr geradewegs ins Wasser rennen. Wo bist du jetzt, Papa – sie fuhr in einen kleinen Park –, warum rufst du mich nicht zur Hütte der Lebensretter, schau doch, was passiert, wenn du nicht da bist, dann trennt uns keiner; keiner beruhigt uns, nachdem wir gestritten haben, und keiner erklärt der einen die andere. Vielleicht ist das gerade gut, antwortete ihr Vater in ihrem Kopf, so lernt ihr, ohne mich zurechtzukommen. Aber wir schaffen es nicht, Papa, sie trat schneller in die Pedale, ich schaff es nicht, ohne dich zu leben, wie lang willst du denn da noch bleiben, in Australien, sind vier Jahre nicht genug? Ja, du hast erklärt, du hast neu anfangen müssen, es sei eine Frage von Sein oder Nichtsein gewesen, dass Vivian und Reuven dich einfach gerettet haben, und es

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