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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Tag ein bisschen entstand. Ruinen zwischen Häusern. Kräne zwischen Wolken. Eine Stadt unterwegs. Irgendwohin. Moment – ihr kam ein Gedanke: Gab es in Calvinos Die unsichtbaren Städte nicht so eine Stadt? Deren Schicksal weder hier noch dort ist, wie ein Connectionflight?
    Ihre Mutter wusste das bestimmt.
    Ihre Mutter und Bruno berieten, auf welcher Straße um diese Uhrzeit wohl weniger Verkehr sei. Ihre Stimmen klangen ruhig, angenehm, warm. Mit Papa hatte sie unterwegs immer gestritten, jeder hatte versucht, dem andern seine Meinung aufzuzwingen. Manchmal hatten Inbar und Joavi sogar angefangen, sich zu kabbeln, nur um den Streit ihrer Eltern zu stoppen, bevor er sie in einen Abgrund stürzte. Nein, würde sie Großmutter Lili erzählen, sie ist mit diesem Deutschen nicht wegen seines Geldes zusammen. Sie liebt ihn. Sie sehen schön aus, zusammen. Das erste Mal seit Joavi strahlen Mamas Augen. Nicht stark, aber immerhin. Ein Blitz von Neid durchfuhr Inbar. Sie hätte auch gern so ein Leuchten in den Augen, oder ein anderes Licht. Hauptsache, dass endlich mal etwas aufflammte. Bruno schaute sie wieder kurz im Spiegel an. Er hatte einen wässrigen Blick, wich schnell aus. So ganz anders als Papa mit seinem starken, durchdringenden Blick, einem Blick, der einem Angst machen könnte, würde er nicht stets von einem Schmunzeln begleitet.
    Also, wie findest du Berlin?, fragte Bruno und nahm eine Abfahrt, über der ein Piktogramm mit einem Flugzeug hing.
    Sie spürte, wie sich ihre Mutter auf ihrem Sitz verkrampfte.
    Ich war zu kurz hier, um mir einen Reim auf die Stadt zu machen. Ich muss wohl noch mal wiederkommen.
    Du bist immer willkommen, und nächstes Mal sorg ich dafür, dass du in deinem Bett keinen Hans findest.
    Ihre Mutter und sie lachten im selben Moment. Dasselbe Lachen. Plötzlich war sie sich dessen sehr bewusst.
    Das Auto bremste auf dem Parkstreifen, und sie stiegen aus. Bruno holte ihre Tasche aus dem Kofferraum und stellte sie auf einen Wagen. Danach drückte er ihr formell die Hand und stieg ins Auto, gab den beiden Raum zum Abschied.
    Tut mir leid … wegen … heut Morgen, sagte ihre Mutter. Ich hätte das nicht sagen …
    Nein, mir tut es leid. Du hast dir die ganze Zeit solche Mühe gegeben … und ich … mir … mir geht es in letzter Zeit … einfach nicht gut. Ich bin hierhergekommen, um herauszufinden, warum, das heißt, natürlich auch, um mit dir zusammen zu sein … aber auch, um mich selbst zu verstehen … und das ist mir nicht so richtig gelungen. Das heißt, gelungen ist es mir, aber vielleicht hab ich Angst, das Ergebnis zu akzeptieren. Und diese … diese ganze Verwirrung … hab ich zum Schluss an dir ausgelassen. Und du bist die Letzte, die das verdient hätte.
    Wieso die Letzte? Ich bin deine Mama. Das ist nun mal die Aufgabe von Müttern, nein? Einzustecken und aufzunehmen, Raum zu geben. Schade nur, dass ich darin … nie wirklich gut war.
    Aber du machst Fortschritte!, sagte Inbar, und beide lächelten, als sie sich an die Geschichte erinnerten, wie Großmutter Lili einmal über das Halbjahreszeugnis von Hanna gestaunt hatte: »In allen Fächern steht ›macht Fortschritte‹. Kannst du mir vielleicht sagen, liebe Tochter, wohin genau deine Fortschritte dich führen?«
    Früher hatte ihre Mutter das schönste Lächeln auf der Welt gehabt, dachte Inbar und betrachtete sie. Wie ein Feuerwerk stoben die Falten aus ihren Augenwinkeln. Ihre Mutter hatte auch mal das schönste Haar auf der Welt. Auf Familienausflügen hatte Inbar hinter ihr gesessen und mit ihrem Haar gespielt.
    Jetzt waren die Falten Furchen geworden, das Lachen grub sich tief in ihr Gesicht, das weiße Haar war schütter. Doch noch immer war die Art, wie sie sich hielt, wie sie dastand, die Art einer Frau, die wusste, dass sie schön ist.
    Inbar beugte sich zu ihr hinunter, und sie umarmten sich. Eine längere Umarmung als sonst und kürzer, als sie es gebraucht hätte.
    *
    Nach der Passkontrolle setzte sich Inbar in eine kleine Bar auf dem Berliner Flughafen. Sie wartete auf ihren Mossad-Agenten. Dass er käme, wie in ihrer Fantasie, und sie vor sich selbst rettete, direkt auf das violette Sofa in der VIP-Suite. Indessen trank sie einen Ananaslikör nach dem andern und betrachtete die Flammen eines künstlichen Kamins auf einem Plasmabildschirm. Nach dem fünften Glas machte der Barmann eine vorsichtige Andeutung, dass man den Alkohol wegen der Süße nicht spüre, aber von diesen Likören würde man ziemlich

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