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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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netter Typ; am Ende des Tages hat er immer an die Waisenkinder, die auf den Bänken des Plaza de Armas schliefen, die Brote und Brötchen verteilt, die keiner gekauft hatte.
    Noch eins ist gut an den Israelis, denkt sich Alfredo und biegt Richtung Terminal ab: Sie essen gern. Die meisten haben kein Problem damit, schon früh am Morgen ein Steak zu verdrücken. Obwohl die letzte Israelin, die er hatte, Vegetarierin war. So ein Blödsinn. Der Mensch hat, schon als er noch Affe war, Fleisch gegessen. Das ist das Allernatürlichste für uns. Kein Wunder, dass diese Frau so bleich war. In weniger als einer Woche hatten sie ihre zugedröhnte Tochter gefunden. Aber dann war die Mutter, die die ganze Woche nichts gegessen hatte, weil ihr das Essen nicht gesund genug war, kollabiert. Sie lag einen Monat lang in Lima im Krankenhaus. Und gerade das hatte ihrer Tochter den Kopf zurechtgesetzt. Das war schon lustig: Sowie die Mutter zusammenbrach, warf die Tochter die Pillen in den Müll, stellte sich auf die Füße und kümmerte sich um ihre Mutter. Er hätte nichts dagegen gehabt, sie flachzulegen, die Tochter. Und eigentlich auch die Mutter. Das hat er noch nicht gehabt, Mutter und Tochter hintereinander, oder zusammen. Obwohl sie nicht so aussahen, als ob sie da mitgemacht hätten. Es gibt ja trotzdem eine gewisse Verlegenheit zwischen Eltern und Kindern. Ihn zum Beispiel würde es nicht stören, wenn andere ihn sähen, wie er es sich mit der Hand macht, aber als einmal seine Mutter, Gott hab sie selig, mittendrin reinkam, wär er am liebsten gestorben. Aber im Grunde stimmt das nicht. Er sagt das nur so, dass er sterben wollte. Vielleicht hat er sich geniert, vielleicht ist er vor Scham ganz rot angelaufen, aber sterben hat er nie wollen. Er hatte immer große Lust zu leben. Wie sonst hatte er es geschafft, mit einem Boot aus Nicaragua nach Costa Rica zu fliehen, nachdem seine Mutter tot war und er niemanden mehrhatte auf der Welt? Wie sonst war er vom Schuhputzer zum Boss der Schuhputzer geworden? Wie sonst hatte er mit gar nichts in der Hand das Geschäft mit den Verschwundenen aufgebaut und war die Nummer eins auf dem ganzen Kontinent geworden, eh ?
    Seine erste Suche hatte er fast für umsonst gemacht. Da war ein Holländer gekommen, um die fünfzig und ellenlang. Diese Holländer sind alle so lang. Der hatte ihm ein Bild von seinem Sohn gezeigt und ihn gefragt, ob er ihm helfen könne. Da hatte er gesagt: Komm mit, und sie gingen in einen Kopierladen und kopierten das Foto fünfzig Mal. Dann gingen sie zurück auf den Platz und verteilten die Bilder an alle Schuhputzer. Wer mir Informationen über den Jungen bringt, erhält einen Wochenlohn, versprach er ihnen, und schon nach ein paar Stunden hatte er den Ansatz einer Spur. Einer, der auch auf dem Flughafen arbeitete, hatte eine Woche zuvor gesehen, wie der Sohn des Holländers in eine Maschine nach Belize gestiegen war. Flieg jetzt nach Belize, hatte er dem Vater geraten. Doch der hatte darauf bestanden, dass er mitkam, und versprochen, ihm alle Auslagen zu bezahlen. Und er hatte in den Augen diesen Ausdruck von Eltern, die glauben, dass ihrem Kind was zugestoßen ist. Okay, ich bleib bei Ihnen, hatte er da zu dem Holländer gesagt und war mit ihm nach Belize geflogen. Sie bekamen heraus, dass sich der Junge in eine Negerfrau aus Isla de las Mujeres verliebt hatte. Den Kontakt zu seiner Familie hatte er abgebrochen, damit die von ihm nicht verlangen konnten, sie zu verlassen. Die hatte wirklich Klasse, diese Negerin. So eine Frau, an die musst du nur denken, und schon steht er dir. Die musst du gar nicht anfassen. Noch nicht mal vor ihr stehen. Nur denken, wie du ihr die Schokolade leckst. Sorry, nicht eine Negerfrau, sondern eine Afroamerikanerin. So musst du sie heute nennen, wenn du nicht willst, dass deine Kunden denken, du seist ein kompletter Esel. Das ist noch was Gutes an den Israelis, dass du dich nicht an diese ganzen Regeln halten musst. Und du kannst mit ihnen auch mal lachen. Denn ohne Lachen geht es bei diesem Job nicht, das ist unmöglich. Gerade weil alles so schicksalsentscheidend ist, gerade weil beim Suchen in der Schnelligkeit, mit der du ein Messer zückst, Hoffnung in Verzweiflung umschlagen kann, musst du ab und zu Witze erzählen. Und zusammen was trinken. Und was Anständiges essen und danach kräftig furzen. Schade, dass nicht alle das verstehen. Schade, dass es solche gibt, die denken, wenn sie sich erlaubten, bei der Suche auch nur einen

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