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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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aus, »Tracks«, aber sie hätten es herzlos gefunden, ihn zu korrigieren.
    Dreißig Tage nach dem Tod ihrer Mutter, nachdem sie vom Besuch auf dem Friedhof zurückkamen, hatte Vater das erste Mal erwähnt, dass er wegfahren wolle. Das Haus wimmelte schon nicht mehr von Leuten, wie während der »Schischa« , Vaters ungeduldig verkürzter Variante der siebentägigen Trauerwoche Schiw’a ; im Wohnzimmer saß nur noch der harte Kern, nur Leute, die Mutter liebten, und die tranken Kaffee oder Tee ohne feine Untertassen und mit nur einer Sorte von Keksen.
    Ich möchte das Büro zumachen und nach Südamerika fahren, hatte er damals gesagt, und sie hatten es als eine weitere absonderliche Reaktion auf den Tod der Mutter abgetan, wie seinen haarsträubenden völligen Zusammenbruch bei der Beerdigung, seinen Wutanfall, als er entdeckte, dass Ze’ela die Bettwäsche des elterlichen Bettes gewechselt und ihm Mutters Geruch geraubt hatte, oder seine Verkürzung der Trauerwoche um einen Tag, »denn im Bewirten war eure Mutter gut, das kam ihr ganz natürlich, aberohne sie habe ich keine Lust mehr, den Gastgeber zu spielen und mich anzustrengen, die ganze Zeit nett zu sein«.
    Wenige Wochen nach dieser Erklärung lagen in seinem Arbeitszimmer bereits stapelweise Landkarten, Spanischlehrbücher, Empfehlungen von Reisenden, die er sich aus dem Internet gezogen hatte, und Hefte, in denen er die Vorträge im Laden von La-Metayel , der Globetrotter -Filiale im Dizengoff-Center, mitschrieb.
    Ich kann mir vorstellen, wie du die Referenten dort verrückt machst, lachte Ze’ela (nur sie besaß das Privileg, über Vater lachen zu dürfen. Dori machte das nie. Nicht aus Ehrfurcht; es schien ihm ihrer Beziehung einfach nicht angemessen). Die bereuen bestimmt den Moment, in dem sie ihren Vortrag begonnen haben!
    Im Gegenteil, sagte sein Vater, lächelte, sprach aber ganz ernst weiter, ich glaube, sie freuen sich über meine Fragen. Denn wenn von Peru nach Bolivien die Währung wechselt, ist es doch gut zu wissen, wo man den besten Kurs bekommt, meinst du nicht?
    Peru … Bolivien, murmelte Ze’ela. Sag, Papa, was ist schlecht am Israel Trail ? Warum musst du denn so weit fahren?
    Der Israel Trail ist ja ganz nett, aber die Mehrzahl der Etappen habe ich schon gemacht, die meisten zusammen mit eurer Mutter. Außerdem ist er schlicht zu kurz für meine Bedürfnisse.
    Wieso zu kurz? Für welche Bedürfnisse? Ich versteh dich nicht, wie lang willst du denn in Südamerika bleiben?
    Ich weiß nicht, meine Liebe, ich weiß es wirklich nicht. Deshalb habe ich ja nur einen Hinflug gebucht.
    Du weißt, Papa, dass es da gefährlich ist? Ich habe gelesen, da schneiden sie einem den Finger ab, um an den Ehering zu kommen.
    Ich nehme den Ring ab, bevor ich fliege.
    Und sie klauen einem auf offener Straße eine Niere! Papa, die betäuben die Leute, nehmen ihnen die Niere raus und verkaufen sie!
    Also wirklich, meine Liebe, dort ist es auch nicht gefährlicher als hier.
    Aber warum ausgerechnet Südamerika? Ich begreif es nicht.
    Weißt du noch, wie sie diesen Kontinent nannten, als sie ihn entdeckten? »Die neue Welt«. Das ist es, was ich jetzt brauche. Einen neuen Ort, der mich an gar nichts erinnert.
    Papa wird doch nicht fahren, prophezeite Ze’ela, nachdem Dori und sie sich an der Tür von ihrem Vater verabschiedet hatten – sie mit um seinen Hals geschlungenen Armen, Dori mit einem leichten Schulterklopfen – und weit genug entfernt waren, dass er sie nicht mehr hören konnte. Und zwei Monate nach dem Tod der Mutter sagte sie mit erstaunlicher Gewissheit: Er wird die medizinischen Tests gar nicht bestehen, du wirst schon sehn. In seinem Alter stellt ihm keiner eine Krankenversicherung für Südamerika aus, und du kennst Papa, ohne Versicherung fliegt der nicht. Und fünf Monate danach entschied sie: Er ist doch nicht in der Lage, seine Klienten im Stich zu lassen. Er fühlt sich ihnen viel zu sehr verpflichtet.
    Dori sagte nichts. Ganz gleich, ob sie Recht hatte oder nicht, er wusste, sie war darauf angewiesen, dass ihr Vater bei ihr blieb.
    Dann fährst du echt? Ihre Frage ein halbes Jahr nach Mutters Tod klang noch immer ungläubig, während sie über den grauen Stoffbezug des Rückendoktors strich. Die Enkel rannten durch die Wohnung, spielten Fangen, Verstecken, verbündeten sich zwei gegen einen, und der eine war immer Neta, doch Dori riss sich zusammen, nicht einzugreifen, nicht zu versuchen, ihn zu retten. Die Psychologin hatte gesagt,

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