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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Tür hätte Dori nie daran gedacht, dass er seinem Vater schon ein paar Monate später nachreisenund sich auf einem Anschlussflug nach Ecuador zwischen Himmel und Wasser befinden würde, auf dem Tischchen vor sich eine nach Plastikfolie schmeckende Mahlzeit und mit rasenden Kreuzschmerzen, so als wäre er es, der beim Jom-Kippur-Krieg verletzt worden war, oder als trüge er ein zweifelhaftes genetisches Erbe in sich, das nur auf den richtigen Moment gewartet hatte, sich zu manifestieren.

Alfredo
    Das Gute an den Israelis ist, denkt sich Alfredo auf dem Weg zum Flughafen, dass man sich für sie nicht verkleiden muss. Bei Nordamerikanern läuft gar nichts unter Anzug und Krawatte. Sonst respektieren sie dich einfach nicht. Da ist es völlig egal, dass ein Anzug nicht in unser Klima passt und dass dich der Mann auf der Straße hier wegen einer Krawatte für einen fucking Banker hält. Überhaupt, er kann diese Nordamerikaner nicht ausstehen. Sie reden, als hätten sie eine Kartoffel im Mund. Denken, sie wären die Herren der Welt. Korrigieren sein Englisch, als wäre er ihr Schüler. Stimmt, er ist nicht zur Schule gegangen, aber deshalb ist er nicht weniger klug als andere, eh ? Tatsache ist, dass sie mit ihrer Schule und ihrem College und dem Geld, das so schnell aus ihnen rausfließt, wie das Wasser den Iguazú runterstürzt, nie verstehen werden, wie »das passieren konnte«: Aber meine Tochter war im Kirchenchor, jammern sie vor deren Fotos im Dschungel mit oben ohne; aber mein Sohn war in der Baseball-Auswahlmannschaft, sagen sie, wenn der Sohn ihnen mit Peyotl zugedröhnt ins Gesicht starrt und sie nicht mehr erkennt. Baseball, auch so ein blöder Sport. Einer seiner Kunden hat ihn einmal als Zeichen der Dankbarkeit zu einem Spiel in Minnesota eingeflogen. Zum Sterben langweilig! Da ist es spannender, den Kühen beim Schlafen zuzusehen. Einmal pro Stunde schafft es einer, diesen hässlichen Ball zu schlagen, unddann tobt das ganze Stadion, als wär Gott weiß was passiert. In der Pause ist er gegangen, was denn sonst. Raus aus dem Stadion und ab zu den Huren. Aber was ist das für eine Stadt, in der es keine Huren gibt? Die sind doch gestört, diese Nordamerikaner, total gestört. Die Israelis auch, denkt er jetzt, aber irgendwie anders. Deren Gestörtheit hängt mit den Kriegen zusammen … Er war kein Soldat, aber seine Mutter, Gott hab sie selig, hat im Bürgerkrieg eine Kugel abgekriegt. Einen Querschläger, aber der hat sie geradewegs ins Herz getroffen, als hätte einer sehr genau gezielt. Er war dabei, als es passiert ist, half ihr, im Hof die Wäsche aufzuhängen, reichte ihr die nassen Kleidungsstücke aus einer Plastikwanne und legte die trockenen in eine andere, und da ist sie plötzlich gestürzt. Leute, die man im Film erschießt, fallen langsam, greifen dabei noch nach allen möglichen Sachen, aber seine Mutter ist einfach zusammengeklappt, wie ein Schirm. Und das war’s. Nichts hat er mehr machen können. In dem Moment, als er sich runterbeugte und in ihren schönen Augen kein Licht mehr sah, war ihm klar, dass er sie nicht retten konnte. Er weiß also durchaus, was Schmerz ist, eh ? Jetzt bildet euch nur nichts ein. Und ein paar Worte Hebräisch kann er auch. Damit erobert er immer das Herz der Israelis. Du wirfst ihnen ein paar Wörter in ihrer merkwürdigen Sprache hin, die außer ihnen keiner spricht, und schon öffnen sie sich ein bisschen. Nicht, dass sie dir wirklich vertrauen; die sind sehr misstrauisch. Gut, kann man verstehen, nach dem, was die Deutschen ihnen im Zweiten Weltkrieg getan haben. Witzig, dass er von dieser Geschichte nichts gewusst hat. Ein Jude aus Südafrika, dessen Sohn beim Rafting verschollen war, hat ihm davon erzählt. Am Anfang hielt er das alles für ziemlich übertrieben. Sechs Millionen, das klingt wie eine Zahl, die einer nennt, um sich dann auf die Hälfte runterhandeln zu lassen, aber er ist zu Marcello in den Uhrladen gegangen und hat ihn gefragt. Der war früher Geschichtslehrer am Gymnasium, bevor ein Schüler ihm einen Stuhl auf dem Kopf zertrümmerte, und Marcello hat gesagt, ja, das stimmt, so steht es in den Büchern, und erst da hat sich Alfredo plötzlich erinnert, dass esin der Stadt, in der er aufgewachsen ist, in Granada, wirklich einen alten Deutschen gegeben hat, der eine Bäckerei besaß, und von dem hieß es, er habe früher für Hitler Juden ermordet. Aber niemand wollte das glauben oder etwas davon wissen, denn dieser Deutsche war doch ein

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