Neuland
statt zu sagen, was er wirklich dachte: »Die Gegenwart ist nur die äußere Hülle«, sagte er: Vielleicht hast du ja Recht. Und er fuhr fort: Ich werd mich mehr bemühen. Was machen wir denn nächstes Mal? Desserts? Ich verspreche dir, dass unser Nachtisch alle andern übertreffen wird. Keine Frage, Roni, wir hängen die alle ab. Wir werden es denen zeigen. Die Leute werden uns das Karamell von den Fingern lecken.
Einige Stunden vor dem nächsten Treffen ging es seiner Mutter schlechter, und sein Vater rief ihn ins Hadassa-Krankenhaus.
Das ist in Ordnung, geh du ruhig zu dem Workshop, sagte er zu Roni.
Und sie fragte: Bist du verrückt? Wie kommst du denn darauf?
*
Schon toll, dass du so eine Mutter hast, hatte Roni gesagt, nachdem sich die beiden das erste Mal getroffen hatten. Das ist eine Frau, von der man lernen kann, die du als Mensch lieben kannst, und nicht nur weil sie deine Mutter ist.
Beeindruckend, deine neue Freundin, hatte seine Mutter nach jedem Treffen zu ihm gesagt. Im Kibbuz groß zu werden und als solche Individualistin da rauszukommen, das verlangt eine Menge Charakter.
Als Dori seine Auszeit nahm, hatte Roni seine Mutter angerufen, und die hatte sie beruhigt: Hab Geduld, er kommt wieder zurück. Mehr als zwei, drei Tage wird er nicht brauchen.
Und als sie heirateten, ein paar Monate nach dieser Auszeit, las seine Mutter auf dem großen Rasen vor dem Speisesaal des Kibbuz eine in klappernden Versen verfasste Makame, in der sie eine lange Strophe ihrer Schwiegertochter widmete.
Täuscht euch nicht in unsrer Roni – sie ist nicht nur schön wie Mahagoni – sondern pflegt ein Gewissen und den aufrechten Gang – ist scharf, schnell, voller Tatendrang – mit Shlomo Bar trommelte sie zwar nicht lang – doch machte sie dort ihren großen Fang – eroberte Doris Herz in Sturm und Drang – sie weiß zu spielen auf seinen Saiten – und wird ihn ab jetzt durchs Leben begleiten – wir reichen dir hier diese Lilie – willkommen im Schoße der Familie –
Erste Risse hatte die Idylle zwischen den beiden bekommen, als Neta zur Welt kam. Doris Mutter meinte, es sei falsch gewesen, dass Roni ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt eine so anspruchsvolle Aufgabe in ihrem Job übernommen habe. Roni dachte, Doris Mutter sei nun auch nicht gerade das Vorbild einer Frau, die ihre Karriere auf dem Altar der Mutterschaft geopfert habe, und könne sich kein Urteil über andere erlauben. Wegen der vorbehaltlosen Offenheit der beiden wurden solche Dinge nicht hinter dem Rücken herumgetragen, sondern aufrichtig ausgesprochen, und Roni erklärte Nurith, eine Familie sei eben ein großes System, und daDori sehr viel mehr freie Zeit habe als sein eigener Vater, könne sie es sich erlauben, mehr Zeit außer Haus zu sein. Das sei gewiss besser als zu verbittern und ihren Frust irgendwann an dem Kind auszulassen. Aber es ist doch nicht nur das, meine Roni, hatte seine Mutter gesagt und dann äußerst präzise formuliert, was Dori noch nicht zu fassen bekam: Dieser Ort, an dem du arbeitest, diese Aggressivität des Geschäftslebens, die wird in dich eindringen; sie dringt schon jetzt in dich ein.
So ist es nun mal, wenn man Geld verdient, hatte Roni geantwortet. Ich will nicht, dass Neta mal so dasteht wie ich, als ich den Kibbuz verließ und mit einem Paar Turnschuhen in die Welt hinauszog. Ich möchte, dass er alles, was er im Leben haben will, auch bekommen kann, obwohl sein Vater beschlossen hat, sich mit einem Lehrergehalt zu begnügen.
Aber was ist mit dir? So verpasst du die schönsten Jahre des Kindes!
Dori, tu mir einen Gefallen, sagte Roni, als sie irgendwann keine Kraft mehr für diese Gespräche hatte, sag deiner Mutter, sie soll mich damit in Ruhe lassen.
Sie ärgert sich, weil sie weiß, dass ich Recht habe, antwortete seine Mutter.
Das sagst du immer zu Ze’ela, hielt Dori ihr entgegen.
Auch Ze’ela ärgert sich, wenn sie merkt, dass ich Recht habe.
Und trotzdem hatte sie versprochen, den Mund zu halten. So hatte einige Monate lang zwischen den beiden wichtigsten Personen seines Lebens ein Gleichgewicht der Furcht bestanden: Das wirkliche Lächeln wurde durch ein künstliches ersetzt, tiefschürfende Gespräche durch leeren Small Talk.
Dann war seine Mutter krank geworden, und die ganze Vorsicht zwischen den beiden wurde ad acta gelegt.
Wie edel Roni sich verhält, sagte Ze’ela neidisch. Sieh doch, wie viele Stunden sie an ihrem Bett verbringt. Wie sehr es ihr um unsre Mutter geht.
Ja,
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