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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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lächelte bitter. Die Polizei arbeite sogar mit ihnen zusammen und kassiere Prozente. Die Beamten holten Gringos aus den Linienbussen, »um sie zu überprüfen«, und ließen sie dann irgendwo stehen, wo niemand war, damit die Banden ihnen eine »Mitfahrgelegenheit« anbieten und sie unterwegs ausrauben konnten.
    Ich … verstehe. Aber wo finden wir dann einen sicheren Ort für die Nacht?, fragte Inbar. Die junge Frau zeigte zu einem Holzhaus außerhalb des Dorfes, auf einem nahen Hügel mit vertrockneten Büschen. Ist das euer Hostel? Hostels gibt es hier nicht. Das ist das Haus von Don Angel. Er ist unser Schamane. Und manchmal, wenn es ihm gerade gelegen kommt, nimmt er Gäste auf.
    Sie machten sich auf den Weg zu dem Holzhaus, kamen an kleinen Feldern mit Kartoffeln und Mais vorbei und an einem Flüsschen, über das eine improvisierte Holzbrücke führte.
    Pass auf, das ist rutschig, sagte Inbar und nahm Doris Hand, bis sie die andere Seite erreicht hatten. Eisiger Wind wehte durch ihre Kleider, sie zogen die Bauchgurte ihrer Rucksäcke fester und gingen schneller, um das Haus zu erreichen, bevor es völlig dunkel sein würde.
    Als sie den Hügel erklommen, musste Dori stehen bleiben, er legte sich die Hand auf die Brust, und Inbar wartete, bis er wieder zu Atem kam.
    Noch ein bisschen, sagte sie. Es ist nicht mehr weit.
    Vor dem Holzhaus stand ein kleiner Mann in einem grünen Pulli und Jeans, die über dem Knie eingerissen waren. Hola , sagte er, als sie näher kamen. Sein breites, ruhiges Lächeln hieß sie willkommen, als habe er sie schon lange erwartet. Hätte er » Hola Inbar, Hola Dori gesagt«, es hätte sie nicht erstaunt. Mit einer kleinen, aber eindeutigen Handbewegung lud er sie in sein Haus ein, und als er sich umdrehte, sahen sie den dicken schwarzen Zopf in seinem Nacken, und Inbar unterdrückte den Wunsch, ihn anzufassen und die Knoten darin zu entheddern.
    Das Innere des Hauses sah nicht aus, als wäre es dafür eingerichtet, Gäste zu beherbergen. Kinder, jünger als erwartet, rannten durch Räume, die nur durch Vorhänge voneinander getrennt waren. An mehreren Stellen baumelten Hängematten zum Schlafen. Auf zwei Mühlsteinen stand ein nicht gerade großer, dampfender Topf. In der Ecke des Zimmers erblickte Dori ein Instrument, das er noch nie gesehen hatte: eine Art Harfe mit einer Saite. Eine Frau ging an dieser Harfe vorüber und verschwand im Schatten.
    Ich freue mich, dass ihr gekommen seid, sagte der kleine Mann in gutem Englisch mit schwerem Akzent. In unser kleines Dorf kommen nur wenige Gäste. Ich bin Don Angel. Wer seid ihr?
    Das soll ein Schamane sein?, dachte Inbar. Wo sind die bunten Federn, wo das von Falten zerklüftete Gesicht?
    Ich bin Dori, und … das ist Inbar, sagte Dori.
    Kommt, setzt euch. Der Schamane wies mit der Hand auf einen niedrigen Holztisch, auf dem zwei Keramikteller standen. Euer Essen ist schon bereit.
    Dori und Inbar schauten sich an. Die ganze Sache war etwas befremdlich, doch draußen lauerten bewaffnete Banden, und es war auch entsetzlich kalt, und Don Angel hatte etwas Vertrauen Erweckendes. Was sollten sie sonst tun.
    Sie nahmen ihre Rucksäcke ab und setzten sich hin. Sie aßen Fisch, schwarze, verschrumpelte Kartoffeln und ein Getreide, das an Quinoa erinnerte. Don Angel saß mit ihnen am Tisch, aß nichts, sprach nichts. In der Stille war ihr Kauen zu hören, und von draußen ein Zirpen und das Quaken der Frösche.
    Als sie aufgegessen hatten, ertrug Inbar das Schweigen nicht länger und begann, ihre Geschichte zu erzählen. Der Bus. Die Polizei. Der Pass. Der Tankwagen.
    Don Angel hörte zu, mit einem gelassenen, wissenden Blick. Gut, dass euer Weg euch hierhergeführt hat, sagte er, als sie fertig war. Und lächelte wieder.
    Plötzlich ging die Haustür auf; hinein stürmten eine Frau mit einem Baby, und der Wind.
    You will have to excuse me , sagte Don Angel, und seine Ruhe stand ganz im Gegensatz zu der Panik, die die Frau verbreitete. Er erhob sich, rieb sich mit zwei schnellen Bewegungen die Handrücken an der Brust und wandte sich ihr zu. Das Baby mache ihr Sorgen, deshalb sei sie gekommen – so viel konnte man aus ihren Handbewegungen, und wenn man das Kind ansah, verstehen. Dessen Augen waren geschlossen und seine Brust hob und senkte sich langsam, als falle es ihm schwer zu atmen; es hatte eine Stupsnase, die Dori etwas an Netas Nase erinnerte. Mit einer bedächtigen Bewegung breitete Don Angel ein Stück Stoff auf dem Holzboden aus, nahm

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