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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Käfig. Die Menschen saßen zu dritt auf einem Sitz für zwei und aßen mit den Händen die Mahlzeiten, die sie zu Hause vorgekocht hatten. Ab und zu kam ein Kind in den Bus, um Mais oder Lychees zu verkaufen oder Kinley in Trinkbeuteln, ohne Kohlensäure. Es war eng. Inbar drückte sich an Dori, damit man ihr nicht so auf die Pelle rückte. Ihre Hose berührte ab und zu flüchtig seine Hose, ihr Atem mischte sich ab und zu flüchtig mit seinem. Sie schaute ihn oft an, wandte ihren Blick aber ab, sobald sie seinem begegnete.
    Man bekommt ja geradezu Sehnsucht nach den israelischen Bussen, sagte er, um etwas zu sagen, und sie lachte erleichtert, ja.
    Um die Wellen ihres Lachens auszunutzen, fuhr er fort: Ich komme mir vor wie jemand, dem sie den grauen Star entfernt haben. Erst jetzt begreife ich, wie steril diese Fahrt in Alfredos Caravan war.
    Nach dieser Sterilität wirst du dich noch zurücksehnen, meinte sie, und wie um ihren Worten Gewicht zu verleihen, hielt der Bus ein paar Minuten später an einer Polizeisperre. Zwei Beamte stiegen ein, baten die Touristen um ihre Pässe und behielten sie lange bei sich. Schließlich gaben sie alle zurück, außer Doris Pass. Mit ihrem flüssigen Spanisch, das Dori bewunderte, gelang es Inbar, dem zuständigen comandante zu erklären, dass es ein Problem gab, und sie stiegen aus, luden ihre Rucksäcke vom Dach und machten sich auf, den verschwundenen Pass zu suchen. Nach langen Minuten der Sorge – das heißt, er sorgte sich, Inbar gar nicht – fand sich das Dokument in der untersten Schublade des einzigen Schreibtischs in dem Schuppen neben der Straßensperre.
    Ein paar Minuten später verschwanden die Polizisten spurlos; sie knatterten auf ihrem Motorrad davon, als wären sie auf derFlucht, und ließen Dori und Inbar in einer Wolke der Ungewissheit stehen.
    Bald darauf wurde es dunkel an diesem Unort, an dem sie festsaßen.
    Eine Alpaka-Herde zog über den gegenüberliegenden Hügel, aber Hirten waren keine zu sehen. Wind wirbelte tornadoähnliche Staubsäulen auf, die sich jedoch auflösten, bevor sie eine gefährliche Stärke erreichten. Auf der ganzen Ebene stand nur ein einziges Haus. Dort gingen sie hin; sie hatten kein besseres Ziel. Doch als sie näher kamen, sahen sie, es war kein Haus, sondern nur die Fassade einer Ruine.
    Sie kehrten zur Straße zurück, und etwas später hielt ein Wagen. Man bot ihnen an, sie mitzunehmen.
    Warte, sagte Dori, packte Inbar am Arm. Guck dir mal den Typen an, der hinten sitzt, ist das nicht eine Pistole, was der unter seinem Hemd hat?
    Ehrlich gesagt –
    Sag ihnen, nein danke.
    No, gracias , sagte sie zum Fahrer. Der regte sich nicht. Der Mann, der hinten saß, warf ihnen einen unguten Blick zu.
    Dónde! Dónde von hier! Es war das falsche Wort, das Dori ihnen auf Spanisch entgegenschleuderte, doch der Fahrer verstand den drohenden Ton, sah die wild fuchtelnden Arme des Gringos und fuhr davon.
    *
    Die Sonne ging unter, und der Mond war noch nicht herausgekommen. Zwei Menschen mitten auf dem Altiplano wussten nicht, wohin. Die Frau dachte, ein Glück, dass sie den Mann dabeihatte, sonst bekäme sie es mit der Angst zu tun. Der Mann hatte Angst. Früher hätte er sich in so einer Situation nicht gefürchtet. Im Gegenteil, gerade in Momenten der Gefahr entwickelte sich bei ihm eine kühle Besonnenheit. Doch seit er ein Kind hatte, wecktensolche Situationen in ihm die Angst, »wenn mir etwas zustößt, hat mein Sohn keinen Vater mehr«.
    Dónde von hier!, rief Inbar, erinnerte sich plötzlich an Doris Ausruf und lachte schallend in die Nacht.
    Was ist daran so komisch? Moment mal, was genau bedeutet dónde ?
    Wohin! Wohin von hier! Das hast du ihm zugeschrien. Wohin von hier!
    *
    Zum Schluss nahm sie der Fahrer eines Benzintankwagens, dessen Stirn ihnen vertrauenswürdig erschien, mit bis ins nächste Dorf. Von dort aus wollten sie mit dem Linienbus weiterfahren. Doch schon bald stellte sich heraus, dass durch diesen Ort überhaupt kein Bus fuhr. In den ersten Minuten gelang es Inbar nicht, mit jemandem zu reden – die Bewohner sprachen eine unbekannte Sprache mit sehr vielen Konsonanten … Schließlich aber trafen sie eine junge Frau, die ihnen auf Spanisch erklärte, aus diesem Dorf komme man nur mit Pick-ups weiter, die allerdings nachts nicht verkehrten, wegen der Straßenräuber. Die seien gar keine Peruaner, erklärte sie, sondern Kolumbianer und Brasilianer. Warum die Polizei sich nicht um sie kümmere? Die junge Frau

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