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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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wie es heißen soll.
    Als sie die Augen wieder aufschlug, war der Bus nach Sarafand abgefahren.
    Natan kam vom Dach; sie stiegen ein und setzten sich dicht zusammen auf die Bank hinter dem Fahrer. Dass Natan trotz der Hitze nicht schwitzte, war ihr angenehm (Fima hatte nachts immer geschwitzt). Die Berührung des weißen Hemdes, das er zur Beerdigung trug und das sie an die Hemden erinnerte, die sie bei ihren ersten Treffen in Warschau an ihm gesehen hatte, war ihr angenehm. Angenehm war ihr auch, dass seine Hand ihre verborgenen Morsezeichen entschlüsselte und er ihr in der ersten Stunde der Fahrt das Geschenk des Schweigens machte (Fima war gar nicht in der Lage, zu schweigen). Danach empfand sie auch die Erklärungen, die er gab, als angenehm – man merkte ihnen an, dass er gern malte, sie waren detailliert, ohne dabei überheblich zu wirken, Erklärungen zu dem neuen Land, das sich ihr nach und nach, Duft für Duft durchs Fenster offenbarte: Orangenplantagen, Bewässerungsschläuche, Mähdrescher. Dies ist ein Moschaw und das hier eine Moschava , dies hier ist eine Kwutza , und das hier ein Kibbuz, sie alle unterscheiden sich sehr voneinander, du erinnerst dich bestimmt. Doch all ihren Bewohnern ist der Drang gemeinsam, hier noch einmal ganz neu anzufangen.
    Er spricht genau wie David Littwak in Altneuland , ging es Lili durch den Kopf. Mit diesem selbstsicheren Stolz derer, die schon lange im Land sind. Und ich, dachte sie, ich bin unwissend und fremd wie Doktor Friedrich.
    Der Autobus stockte bei der Steigung, und für einen Moment meinte sie, er würde gleich zurückrollen, aber er stockte noch einige Male und fuhr weiter, bis sich unter ihnen ein weites Tal grüner Felder auftat.
    Ein Windstoß wehte ihr einen unbekannten, scharfen Geruch an die Nase; erst später würde sie erfahren, es war Salbei.
    Die Jesreel-Ebene, sagte Natan und machte eine ausladende Armbewegung, als gehörte das ganze Tal ihm.
    Sie griff seinen anderen Arm und bedeckte die Narbe darauf mit kleinen Küssen. Hier gibt es im Sommer viele Dornen, erklärte er, etwas verlegen wegen der Narbe oder wegen ihrer Küsse, oder weil er so viel geredet hatte. Und sie küsste weiter, bis sie bei seiner Handwurzel ankam – dort, wusste sie, lag eine seiner lustempfindlichen Stellen.
    Mit zwei Tagen Verspätung empfand sie ein bisschen von demBegehren, das sie sich ausgemalt hatte, wenn sie an diese Begegnung gedacht hatte. Mit zwei Tagen Verspätung empfand sie auch etwas von der Erregung während der Treffen der Warschauer Gruppe, als sie sich viel zu lange Vorträge über die Verwirklichung der kollektiven Utopie im Kibbuz anhörte und sich ihr Leben im neuen Land vorstellte. Diese beiden Empfindungen sind ein und dasselbe Begehren, sagte sie sich, während der Bus das Tal durchquerte – sie sind ein und dasselbe. Natan war ihr neues Leben, und das neue Leben war Natan. Alles andre war Lug und Trug und bloßer Schein.
    In der vierten Stunde (die Fahrt damals dauerte sechs Stunden!) sank ihr Kopf an Natans Schulter, und sie schlief ein, und im Traum sank ihr Kopf an Fimas Schulter. Das war angenehm. Ein starkes Holpern des Autobusses weckte sie auf, und siehe, ihr Kopf lag an Natans Schulter. Und auch das war angenehm. Nach ein paar Minuten überwältigte die Müdigkeit sie wieder, und wieder war Fima im Traum bei ihr. So entstand bereits bei ihrer ersten Reise im Land der Teilungsplan, der sie begleiten sollte, bis Hanna fünf sein und es an der Tür klopfen würde: Natan in ihrem Leben, Fima in ihren Träumen.

Inbar und Dori
    Schon drei Tage waren sie unterwegs. Es war geplant gewesen, mit dem Boot von der Sonneninsel zum Städtchen Copacabana an der Küste des Titicacasees zu gelangen, und von dort mit einem direkten Bus nach La Paz, um den Flieger nach Buenos Aires zu nehmen.
    Nach Alfredos Schätzungen war diese ganze Route in vierundzwanzig Stunden zu machen – wenn nichts schiefging.
    Die erste Panne passierte auf dem Boot. Das Sonnenlicht hatte die Außenseiten porös gemacht, deshalb drang Wasser ein, erklärte der Junge am Ruder, und sie mussten zur Sonneninsel zurückkehren und auf das nächste Boot warten. Bis das abfuhr, hatten sie längst den pünktlichen Autobus der Gringos verpasst und mussten auf den Bus der einfachen Leute warten, der erst vier Stunden später abfuhr und in jedem Dorf anhielt. Auf der Route Titicaca-La Paz über die Altiplano-Hochebene fuhren mit ihnen drei Hühner, ein kleines Schwein und zwei Papageien im

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