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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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wenig vor der verschwitzten Menge zu schützen, und er legte seinen Arm um sie und sagte, ja, das braucht Zeit, daran gewöhnt man sich nicht so schnell, ich meine daran, dass es hier keine Privatheit, keine Privatsphäre gibt, alles ist kollektiv, alle drängen sich auf demselben armseligen Fleckchen zusammen. Lili nickte langsam und reserviert. Ein weiterer Redner stieg mit energischen Schritten aufs Pult und las seine Rede vom Blatt, und sie warf ihre Blicke wie eine Angel in das Menschenmeer, in alle Richtungen, doch statt Fima angelte sie schließlich Esther aus der Menge: mit offenem Haar, die Haarspitzen schon ausgeblichen. Sie stand umringt von ihren Verehrern aus dem Montefiore-Viertel, bei denen sie die Nacht verbracht hatte, doch als sie Lili und Natan erkannte, winkte sie ihnen begeistert und bahnte sich einen Weg zwischen den vielen Schultern hindurch zu ihnen. Schalom , Natan, sagte sie, und wieder errötete ihre Stirn. Ich muss mit deiner Freundin sprechen, ist das in Ordnung? Bevor er antworten konnte, zog sie Lili schon hinter einen grauen Autobus mit Eisengittern, der zu Beginn der Beerdigung bei den Neueinwanderern für Aufregung gesorgt hatte, da sie dachten, es handle sich um ein Fahrzeug der britischen Polizei, die ihnen auflauere. Sie beruhigten sich erst, als ihre schon landeskundigen Kameraden ihnenmit kaum verhohlenem Grinsen versicherten, es sei ein Wagen der Gewerkschaftskooperative, und der sei vergittert, um die Granaten arabischer Terroristen abzuwehren.
    Er ist in Sarafand interniert, sagte Esther. Es geht ihm gut, er wartet auf ein Zertifikat.
    Aber woher …
    Einer meiner Verehrer aus dem Montefiore-Viertel hat Verbindungen zur Hagana , den hab ich gebeten, das rauszubekommen.
    Aber woher wusstest du, dass ich …
    Nu komm schon, um das zu wissen, muss man nicht Freud heißen.
    Danke! Lili umarmte ihre Freundin und küsste sie auf beide Wangen, dann trat sie einen Schritt zurück und streichelte ihr langes Haar. Du siehst schön aus so, sagte sie, Eretz Israel tut dir gut.
    Eine kluge Frau hat mir gesagt – meinte Esther, und ihr Blick ruhte auf Lili –, dies sei unsere Gelegenheit, noch einmal ganz von vorne anzufangen! Eine neue Art von zwischenmenschlichen Beziehungen zu führen. Zwischen Partnern. Jede Generation wiederhole die Fehler ihrer Vorfahren, hat mir diese Frau gesagt, und unsere Generation sage jetzt: Genug, lasst uns etwas Neues erschaffen. Für ebendiesen Neuanfang bin ich in den Salon von Weiss gegangen und hab mich etwas erneuert!
    Lili lächelte schwach.
    Auch dir sieht man an, dass dein Natan dir guttut, meinte Esther, versuchte sie aufzumuntern. Man sieht, dass er dich ganz ernsthaft liebt.
    Lili nickte.
    Und der Glatzkopf … täusch dich nicht in dem. Der wird schon bald eine andere Beute finden.
    Lili hob und senkte langsam den Kopf.
    Komm, sagte Esther, nahm Lilis Hand, lass uns zurückgehn; sie bahnte sich einen Weg zu Natan und übergab ihm Lili wie jemand, der etwas Verlorenes zurückbringt. Dann verschwand sie wieder, zurück zu ihren Verehrern. Noch ein Redner trat ans Pult, es warder sechste. Die Sonne stand im Zenit und verbrannte jede Möglichkeit, echte Trauer zu empfinden.
    Wie lang geht das denn noch?, fragte sie Natan.
    Schwer zu sagen.
    Dann lass uns fahren.
    Aber ich dachte …
    Komm, lass uns jetzt in den Kibbuz fahren.
    *
    Noch einen letzten Moment der Wahl hatte sie gehabt (im Grunde war es der vorletzte gewesen, warum soll sie das verschweigen), noch einen Moment, in dem sie einen anderen Weg hätte einschlagen können. Vor dem Bus, der in Natans Kibbuz fuhr, stand, wie von der Hand des Satans hingestellt, besser gesagt von jener Kreatur mit der umgebundenen Fliege, noch ein anderer Bus, und an dessen Scheibe hing das Schild: Sarafand. Während Natan auf das Dach ihres Busses kletterte, um ihren Koffer festzubinden, ließ der Bus nach Sarafand den Motor an. Um nicht einzusteigen, schloss sie die Augen und stellte sich das Bild vor, das ihr immer Sicherheit gegeben hatte, und aktualisierte einige Details: sie und Natan in ihrem neuen Haus im Kibbuz. Das Haus umrankt von Grün, dahinter plätschert ein Bach. Die Wände ihres kleinen Hauses sind hell gestrichen. Natan, in kurzen Hosen und Unterhemd, bringt aus der Küche eines seiner Wunder-Omelettes und dazu ein Glas Orangensaft. Die Sonne scheint durchs Fenster, Lili sitzt im Schneidersitz auf einer Matte, und neben ihr schläft auf mehreren Decken ihr Töchterchen, von dem sie schon weiß,

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