Neuland
machen, haben wir beschlossen, unser Dreiergespann aufzulösen, um etwas Distanz zu bekommen. Aber nicht deshalb schreibe ich Dir. Das Verrückte ist, nachdem wir uns aufgelöst hatten, hab ich mich einer Gruppe von Holländern angeschlossen (die sind vielleicht groß), und einer von ihnen, der gerade aus Argentinien zurückkam, erzählte von einer Farm von Israelis, die er vor einem Monat besucht hatte. Der Ort heißt »Neuland«, und geführt wird er von einem älteren Israeli. Irgendwas an der Art, wie er diesen Mann beschrieb, kam mir bekannt vor, und so hab ich ihm das Bild, das Du mir gegeben hast, gezeigt, und: dreimal Bingo! Dieser Mann ist wohl Dein Vater, nur hat er inzwischen einen Bart. Der Holländer ist nach der ersten Nacht aus »Neuland« geflohen, es habe dort »sonderbare Energien« gegeben – so drückte er sich aus. Das muss ich aber relativieren, denn dieser Holländer, er heißt Lars, ist sogar im Urzustand, wenn er noch gar nichts geraucht hat, ziemlich verquer. Außerdem ist er so groß, dass ihm vielleicht die Wolken den Blick auf die Welt verstellen. Als ich ihn bat, mir zu erklären, was an den Energien dort befremdlich war und wo genau in Argentinien diese Farm liegt, konnte er sich nicht mehr erinnern, aber ich dachte, Du willst das vielleicht trotzdem wissen (oder weißt Du es schon?).
Ich werde – keine Ahnung, ob Dich das interessiert – erst mal nicht nach Israel zurückkehren. Meine Einschreibung zum Magister in Internationalen Beziehungen habe ich annulliert und den Flug auch. Ich glaube, nach dieser Reise möchte ich in Europa studieren. Wie kann man Internationale Beziehungen in einem Land studieren, das mit der ganzen Welt in Konflikt ist? Vielleicht werde ich nach dem Studium auch in Europa bleiben. Was hält mich denn in Israel? Ich habe keine Kinder. Ich habe auch keine Familie (darüber haben wir nicht geredet). Antisemitismus? – also wirklich, der macht mir so viel Angst, wie wenn einer hinterm Busch vorspringt und »buh« ruft. Die Schoah? – das war in einem anderen Jahrhundert.
Ich weiß nicht. Vielleicht red ich auch nur so. Ich habe manchmal so einen Hang dazu, das hast Du vielleicht schon gemerkt. Vielleicht bin ich einfach nur durcheinander wegen dieser Sache mit Tuval und mache eine Ideologie daraus.
Von hier aus fahre ich jedenfalls weiter Richtung Kolumbien und dann, so zumindest mein Plan, hinauf nach Guatemala, doch hat mich diese Reise schon jetzt gelehrt, dass die meisten Pläne nicht aufgehen. Ich habe gehört, der kolumbianische Untergrund entführt Touristen. (Sollte das passieren und solltest Du Deinen Vater inzwischen gefunden haben, würdest Du mich dann retten?)
Dein,
Noya
*
In seinem regulären E-Mail-Konto fand er die Nachricht eines Schülers mit einer kleinen Frage zu einer Hausarbeit, die er in den Ferien schreiben musste. Dori hatte noch nie einen Schüler durchfallen lassen; stattdessen ließ er sie, wenn sie am Ende des Schuljahrs schlecht abschnitten, eine Arbeit zu einem Thema ihrer Wahl schreiben. Dieser Schüler wollte über das »Goldene Zeitalter in Spanien« schreiben und fragte, wo er noch Material finden könne, denn das, was es in der Schulbibliothek gebe, reiche nicht aus.
Dori antwortete ihm ausführlich und schickte ihn in die Bibliothek des Museums seiner Mutter. Er genoss das Gefühl, nach Wochen, in denen er jeden Tag neu auf unbekannten, in die Irre führenden Wegen hatte gehen müssen, endlich etwas zu tun, wovon er etwas verstand. Etwas, worin er geübt und entsprechend gelassen war.
Bis er mit seiner Antwort fertig war, hatte er sich auch etwas beruhigt, und als er den Blick vom Bildschirm hob und Inbar mit ihrer Schirmmütze ins Hostel kommen sah, freute er sich auf sie. Und er freute sich um so mehr, als sie ohne Guy kam.
Neben ihm stand ein freier Stuhl, doch sie blieb stehen, die Arme vor der Brust verschränkt.
Ich hab dir was gekauft, sagte er und streckte ihr den bunten Umschlag hin.
Danke, sagte sie kühl.
Für dein Heft.
Dacht ich mir.
Ich hab etwas Neues über meinen Vater erfahren – setzte er nach ein paar Sekunden der Stille wieder an –, willst du lesen?
Sie setzte sich hin, rückte ihr Bein aber von ihm weg.
Er öffnete Noyas Mail.
Die ist von einer jungen Frau, die ich auf dem Flug nach Quito getroffen habe, erklärte er, es klang ein bisschen wie eine Entschuldigung, als wäre Inbar seine Partnerin und als müsste er ihr erklären, warum ihm plötzlich eine andere Frau schrieb.
Gut,
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