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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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schon im nächsten Moment fand er sich mit den beiden, das Bild seines Vaters in der Hand, zwischen den Tellern fremder Menschen herumlaufen. Wie der Junge mit den Feuerzeugen, der sie gestern im Restaurant angesprochen hatte, ging er zu den Leuten. Wie ein Bettler. Dennoch hoffte er, dass jemand seinen Vater erkennen würde, dass er so an eine Information kommen könnte, die etwas Licht auf die beunruhigenden Dinge aus dem Tagebuch werfen würde.
    Wartet auf Chaimon und Dafna, hatten ihnen alle geraten, und so hatte er sich mit Inbar hingesetzt und ein Schnitzel bestellt, obwohl er keinen Appetit hatte, wie immer, wenn er sich wie ein gezündeter Feuerwerkskörper vorkam. Und plötzlich waren auch die Wörter weg gewesen. Ausgerechnet jetzt, wo er sich selbst eingestanden hatte, dass er, wenn die Umstände andere wären, Inbar begehren würde, war alles viel zu sehr belastet, erschien ihmalles, was er hätte sagen können, viel zu bedeutungsvoll. Auch die Gegenwart seiner Schülerin, die zu nah bei ihnen saß und sie anstarrte, machte es ihm schwer, und so schwieg er, während Inbar mit einem zu begeisterten Kopfnicken den drei jungen Ärzten bedeutete, sie könnten sich mit an ihren Tisch setzen. Sofort war sie mit ihnen in einem unverkrampften Gespräch, das ihm wieder vor Augen führte, wie sehr er alle sozialen Fähigkeiten verloren hatte, er konnte nur noch dozieren, auch vor der Schülerin, die zu ihm kam, hatte er zum Schluss noch doziert, er hatte einfach keine Ahnung mehr, wie man sich ganz normal in ein Gespräch einbringt. Deshalb verschränkte er die Arme vor der Brust und tat so, als hörte er nicht zu, als merkte er nicht, wie dieser Guy mit der schmalen Brille Inbar anmachte. Er wusste, er hatte kein Recht eifersüchtig zu sein, aber es machte ihn wahnsinnig, und dann noch diese CD von Atraf , die seit dem Morgen niemand gewechselt hatte.
    Ein Glück, dass Chaimon und Dafna schließlich kamen. Noch ein paarmal diese CD, und er hätte etwas kaputt geschlagen, entweder die Anlage oder die Brille von Guy.
    Nach einem kurzen Wortwechsel mit Chaimon war er mit Inbar in dessen Wohnung gegangen, die nur durch eine Tür vom Restaurant getrennt war, und hatte mit Dafna dort das erste Gespräch in den letzten Jahren geführt, bei dem er sich rundum sicher fühlte: ein Müttergespräch. Mitten beim Reden hatte sie ihre Brust entblößt. Auch zu Dafna fühlte er sich hingezogen, ein bisschen zumindest. Als habe er in dem Augenblick, in dem er sich erlaubt hatte, über Inbar zu fantasieren, einen Code geknackt, doch war es nur ein sehr kurzer Moment des Hingezogenseins, der sich verflüchtigte, als Dafna anfing, vom Vortrag seines Vaters zu erzählen.
    Die Beispiele kannte er von Gesprächen, denen er über die Jahre immer wieder mit halbem Ohr gelauscht hatte. Auch dass sein Vater charismatisch war, war ihm nicht neu. Als Dafna ihn fragte, ob er wisse, dass sein Vater gut mit Publikum umgehen könne, hatte er genickt, und in seiner Erinnerung war ein altes Bild aufgestiegen:Es war in der Grundschule. Er geht hinaus in die große Pause und findet keinen seiner Klassenkameraden im Schulhof, auch nicht an den Trinkwasserhähnen oder am Kiosk. Entfernte Stimmen locken ihn zum Schultor, und da entdeckt er seinen Vater, umringt von Dutzenden von Kindern, die ihm lauschen, wie er auf einem zwischen die Lippen gespannten Grashalm pfeift.
    Doch dieses Feuer in den Augen am Ende des Vortrags, diese messianische Begeisterung, von der Dafna sprach, die war untypisch für seinen Vater. Völlig untypisch. Sein Vater war nie ein Sabbatai Zwi gewesen. Im Gegenteil. Er war immer besonnen und souverän. Sogar beim Basketball hatte er Ellenbogenkämpfe unter dem Korb verabscheut und das Spiel gerne aus der Ferne geleitet. Nie war er laut geworden, hatte nie frustriert mit der Faust auf den Tisch geschlagen, und einmal, an einer Kreuzung in Jerusalem, als ein anderer Fahrer aus seinem Wagen ausstieg, zu ihm kam, die Fahrertür aufriss und anfing, ihn zu beschimpfen, du Hurensohn, schneidest mich, komm raus, wenn du Eier in der Hose hast – da hatte sein Vater diesen Mann völlig gelassen angeschaut und gesagt, entschuldigen Sie, mein Herr, ich entschuldige mich, wenn ich Sie irgendwie behindert habe, das war nicht meine Absicht, das müssen Sie mir glauben, und dann hatte er den Arm ausgestreckt, die Fahrertür geschlossen und den tobenden Fahrer entgeistert auf der Fahrbahn stehen lassen und war weitergefahren.
    Je länger Dafna

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