Neuland
vielleicht deshalb nicht zurückkommst. Wann kommst du wieder? Wenn du nicht ganz bald zurückkommst, bin ich vielleicht schon so groß, dass du mich nicht erkennst. Ja, ich schlafe bei Mama im Bett. Das ist toll. Ich darf bei ihr auch Sprite trinken. Aber erst nachdem wir die Bläschen rausgelassen haben. Das ist lecker. Wie Saft. An meinem Geburtstag haben wir Pizza bestellt. Du hast gesagt, du kommst zu meinem Geburtstag zurück. Aber du bist nicht gekommen. Gestern haben wir auch Pizza bestellt. Wir haben nicht alles gegessen. Sollen wir dir ein Stück aufheben? Da war es ihm wieder klar gewesen: Du gehörst eben zu diesem Kind und zu seiner Mutter, du bist mit ihnen verschlungen. Du könntest gar nicht von ihnen weggehen, selbst wenn du wolltest.
Dennoch hatte die Sehnsucht nach Inbar weiter an ihm genagt, kleine Bisse der Gegenwart. Er hatte den Lonely Planet aufgeschlagen um, ganz gegen seine Gewohnheit, zuerst den historischen Abriss zu einem Ort zu lesen, dann blätterte er weiter zu »Rund um La Paz« und fand einen kurzen Ausflug in das Tal des Mondes. Dortkonnte man zwischen weißen Steinsäulen umherlaufen, deren Kreideformationen sich jedes Jahr änderten. Kommst du mit auf den Mond?, würde er sie fragen, und später, wenn sie zwischen den Säulen herumliefen, könnte er ihr Dinge sagen, die er bisher noch nicht gesagt hat – er würde es nicht übertreiben, aber ihr zumindest erklären, dass die Begegnung mit ihr etwas sehr Besonderes für ihn sei, das ihn auch ziemlich … durchschüttle, ja, dieses Wort würde er verwenden. Wie lange hatte er sich nicht mehr das Drehbuch für ein bevorstehendes Treffen mit einer Frau ausgemalt? Seit dem Gymnasium vielleicht – und vielleicht könnte er an ihrer Reaktion ablesen, was sie von ihm wollte, denn auch das war ihm nicht ganz klar, ja, wenn sie sich vom Lärm der Stadt entfernen und ihre Suche für ein paar Stunden aussetzen würden, dann könnten sie das Geheimnis ihrer Gefühle ihm gegenüber aufdecken – Doch bevor er ihr seine heimlichen Pläne hatte erzählen können – schon am Gymnasium waren seine Drehbücher nie genau so wahr geworden –, hatte sie ihm vorgeschlagen, zum Restaurant dieser Israelis zu gehen, um noch ein paar Informationen über seinen Vater zu sammeln. Eine prima Idee, hatte er gesagt und war enttäuscht gewesen, dass sie es vorzog, den Tag mit anderen Leuten zu verbringen, und sofort enttäuschte ihn auch die Tatsache, dass er enttäuscht war, denn er war doch nicht hierhergekommen, um eine Affäre anzufangen, sondern um seinen Vater zu finden. Der befand sich jetzt gerade vielleicht in einer Grube und wartete darauf, dass jemand ihn herausholte, rettete.
In den ersten Sekunden im Restaurant war ihm der bekannte Satz von Herzl eingefallen, den der an der Küste in Ostende an seine Familie geschrieben hatte: »Obwohl sich hier viele Juden aus Wien und Budapest aufhalten, sind die restlichen Urlauber sehr angenehm.« Auf dem begrenzten Raum des Sabres drängten sich wirklich zu viele Israelis. Sie waren so jung, dass er sich alt vorkam. Wieviel Lärm sie machten. Schallendes Lachen, plötzliches, grundloses Anschwellen der Lautstärke. Und dieser Geruch von Zigaretten, Schweiß und Humus. Dicht gedrängt standen sie voreiner Pinnwand, an der die neuesten Internet-Nachrichten aus Israel hingen. Eine Schlagzeile sagte, die Hamas habe einen Soldaten entführt.
Dori wandte den Blick ab. Er hatte genug an seinem eigenen Vermissten. Auf einmal löste sich aus dem Pulk ein junges Mädchen und kam, ohne zu zögern, direkt auf ihn zu: Hi, Lehrer Dori! Es war eine frühere Schülerin von ihm, ein kluges, neugieriges Mädchen. Sie hatte noch eine Freundin gehabt, Gal und Sigal, die beiden Mädchen hatten in der ersten Reihe rechts gesessen, und sich in den Stunden gegenseitig übers Haar gestreichelt. An die Überschrift der Abschlussarbeit von Gal Nassimov erinnerte er sich, während sie sein Herz aufgehen ließ, indem sie ihm erzählte, wie das, was sie bei ihm gelernt hat, ihre Reise bereichere – sie lautete »Die Geschichte wiederholt sich« ; darin hatte sie auf ziemlich geniale Weise Eskalationsmuster herausgefunden, die durch die Geschichte hindurch immer wieder zu Kriegen führten.
Er hatte herzlich, aber kurz geantwortet, hatte versucht, einen Mittelweg zu finden, ihrer Wärme mit Wärme zu begegnen, und doch mit Inbar allein zu bleiben. Dann aber hatte Inbar selbst – wer hatte ihr das erlaubt – die Suche erwähnt, und
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