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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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bereits gehört.
    Gut, ich geh weiter. Das Stehen ist mir unangenehm.
    Das ist das erste Baby in Neuland!, sagte Sara, nachdem Ofri sich etwas entfernt hatte. Wir sind alle sehr aufgeregt. Sein Vater, fügte sie leiser und mit dem für kleine Gemeinschaften so typischen Unterton von Tratsch hinzu, ist bei einem Anschlag im Ursprungsland umgekommen.
    Der Weg, auf dem sie gingen, wand sich immer mehr, bis sie ein großes Zelt erreichten.
    Sieht aus wie ein Zirkuszelt, bemerkte Dori.
    Ich glaube, dein Vater hat es in Buenos Aires wirklich von einem Zirkus gekauft, der Pleite gemacht hat, aber ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls halten wir hier unsere Versammlungen ab.
    Wie ein richtiger Kibbuz, sagte Dori mit deutlichem Spott. Mitgliedsversammlungen. Die Feier des ersten Babys. Gleich erzählst du mir auch noch, dass ihr zu Schavuot einen Gabenkorb macht.
    Du bist nicht der Erste, der das sagt, aber die Kibbuzim gehören der Vergangenheit an. Wir richten den Blick in die Zukunft.
    Und das bedeutet?
    So zwischen Tür und Angel kann ich das nicht erklären. Wenn wir den Rundgang gemacht hätten …
    Gib mir nur ein Beispiel.
    Habt ihr die bunten Bänke gesehen, als ihr reingekommen seid? In den Pausen führen die Leute dort »Gespräche über ihre persönliche Vision«. Neuland ist eine genossenschaftliche Gesellschaft, so wie in »Altneuland« entworfen, aber wir gehen noch einen Schritt weiter: Wir glauben, dass wirkliche Partizipation und gegenseitige Verantwortung nur funktionieren können, wenn sie jedem Einzelnen ermöglichen, seine persönlichen Neigungen zu verwirklichen. Überhaupt versuchen wir hier, quasi unter geschützten Bedingungen, einige der von Herzl entworfenen Grundsätze zu verwirklichen, die im Ursprungsland vernachlässigt wurden. Natürlich kann man nicht ignorieren, dass über hundert Jahre vergangen sind, seit Herzl seine Vision schrieb und dass man bestimmte Dinge anpassen muss.
    Anpassen?
    Damit beschäftigt sich dein Vater in den Stunden, wo man ihn nicht stören darf: Neuland zu visionieren, nicht Altneuland.
    Aha, machte Dori und fiel in Schweigen, und Inbar dachte sich, klar, das ganze Gerede geht ihm gerade sonst wo vorbei, wo sein Vater so nahe ist, aber er könnte ja trotzdem ein bisschen, und sei es nur um der Höflichkeit willen –
    Du willst sicher endlich deinen Vater sehen, sagte Sara. Danach, nachdem ihr ihn getroffen habt, fügte sie, nun mit einem Blick auf Inbar, hinzu, wäre es toll, wenn ihr zum gemeinsamen Essen kämt. Apropos, spielt einer von euch ein Instrument?
    Ich, sagte Dori, wenn auch mit zusammengepressten Lippen. Dann kannst du nach dem Essen bei der Jamsession der Klezmer mitspielen. Bei uns ist es üblich, dass die Gäste mit ihren Begabungen etwas beitragen. Was sie wollen. Statt für die Übernachtung zu bezahlen. Auch du, sie schaute wieder zu Inbar, bist eingeladen, dir zu überlegen, wie du dich einbringen willst.
    Gerne, stimmte Inbar zu. Großzügigkeit weckte bei ihr schon immer Großzügigkeit. Und überhaupt gefiel ihr diese Sara mit jedem Moment mehr. Sie ließ sich von der Skepsis in Doris Blick nicht anfechten und war, als sie antwortete, darauf bedacht, zwischen den beiden hin- und herzublicken, um Dori nicht außen vor zu lassen. Saras Blick war wach, aber nicht genervt. Durchdringend, aber nicht urteilend. Und ihre ganze Haltung, einfach wunderbar, wie eine Tänzerin, das, wonach Inbar sich immer gesehnt hatte: Offene Schultern, fröhliche Schulterblätter, Rückgrat, ja Rückgrat, das war es, was all den Mädchen fehlte, die sie hier in den Hostels getroffen hatte.
    Vieles habt ihr ja noch gar nicht gesehen, begann Sara, etwa die ganze Landwirtschaft. Bestimmt ist euch auch noch nicht alles klar, aber das ist völlig okay. Neuland wurde gegründet, um zu beunruhigen und Zweifel zu wecken. Und ehrlich gesagt, auch bei uns ist noch lang nicht alles ausdiskutiert. Der Kern der Gründergruppe ist erst vor zweieinhalb Monaten hierhergekommen, und in vielen Fragen suchen wir noch unseren Weg. Schaut euch mal die Informationsblätter an, die David euch am Eingang gegeben hat, und lasst den Ort einfach auf euch wirken. Ich mache euch jetzt eure Unterkunft auf, dann könnt ihr euch vor dem Treffen schon ein bisschen einrichten, einverstanden?
    *
    Die »Gästeunterkünfte« waren sieben in einem Halbkreis angeordnete Strohhütten, wie die sieben Sterne auf Herzls Flagge. Sara öffnete die knarrenden Blechtüren zweier Hütten, und nachdem sieihnen gezeigt

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