Neuland
abgewetzten Kleidern. In diesem Restaurant gibt es keine Stühle, nur Bänke. Sobald man mit dem Essen fertig ist, steht man auf und macht seinen Platz einem der Wartenden frei. Genau wie in Pinati , denkt sich Dori und glaubt einen Moment das »Nicht kauen, schlucken!« des ungeduldigen Jerusalemer Restaurantbesitzers zu hören, das ihn so zum Lachen gebracht, aber gleichzeitig auch unter Druck gesetzt hatte, als sein Vater ihn das erste Mal dorthin mitnahm.
Das war eines ihrer drei gemeinsamen Rituale gewesen. Alle paar Monate gingen sein Vater und er ins Pinati. Hin und wieder zu einem Spiel von HaPoel gegen einen starken Verein, und in James-Bond-Filme, wann immer ein neuer in die Kinos kam.
Bei diesen Unternehmungen sprachen sie nicht viel. Im Pinati war es zu laut. Bei den Spielen von HaPoel war es zu spannend, und in den James-Bond-Filmen blieb ihnen nur die Pause.
Und, wie geht’s so im Studium, hatte sein Vater ihn gefragt, wenn sie allein im Kinosaal sitzen blieben (und im Laufe der Jahre dann: Wie geht’s mit dem Unterrichten? Und dann: Wie geht’smit Neta?). Er antwortete immer: In Ordnung. Sein Vater dachte, er hätte mehr aus sich machen können, als nur Lehrer zu werden, das wusste Dori. Fühlst du dich da gut?, fragte der Vater, tat so, als interessiere er sich wirklich, und Dori sagte, ja, alles in Ordnung, wohl wissend, dass er seine bitteren Klagen lieber für seine Mutter aufhob, die besser zuhörte und dem Vater ohnehin abends vor dem Einschlafen eine geordnete Zusammenfassung lieferte. Braucht ihr Hilfe, Junge? – war dann der nächste Satz, und Dori sagte immer: Nein, danke, wir kommen schon zurecht. Denn gerade weil er einen erbärmlich bezahlten Beruf gewählt hatte, meinte er, er müsse beweisen, dass er die Familie alleine ernähren konnte, indem er nach der Schule noch arbeitete, Vorträge vor Erwachsenen hielt, vor Touristen, und noch eine Viertel-Stelle an einer anderen Schule übernahm. Gut, aber wenn ihr was braucht, dann sagt es mir einfach, pflegte sein Vater zu sagen, und dann ertönte auch schon das erlösende Zeichen, das die Leute von der Imbisstheke zurück in den Saal rief.
Aber beim letzten Mal, als sie im Kino waren, erinnert sich Dori, da war es anders gewesen. In der Pause hatte sein Vater ihn nichts gefragt, sondern nur geseufzt: Diese James Bonds werden von Mal zu Mal schlechter. Dori hatte geschwiegen. Er hatte den Film bis dahin ganz gut gefunden und meinte sogar, dass 007 mit dem neuen Schauspieler besser besetzt war. Weißt du, dass deine Mutter mich jedes Mal, wenn ich aus dem Kino kam, verhört hat? Sie fing immer mit dem Film an, wollte, dass ich ihr die Handlung erzähle, doch dabei hatte sie ein ganz anderes Ziel. Was sie wirklich interessierte, war ihr Sohn. Wie es ihm ging, was er erzählt hatte, wie er aussah. Sein Vater hatte gestöhnt, den kleinen Finger zum Augenwinkel gehoben, als wolle er dort eine Träne abwischen, und dann gesagt: Wem erzähl ich heute den Film, wenn ich nach Hause komme? Der Wand?
Dori wusste nicht, was er ihm antworten sollte. Noch nie hatte er seinen Vater aufbauen müssen, er hatte keine Ahnung, wie man das macht. Er spürte, hier bot sich eine einmalige Möglichkeit fürein offenes Gespräch zwischen ihnen, wusste aber nicht, wie anfangen. Und bis er die Worte fand, bis er sich für eine Formulierung entschieden hatte, ertönte schon das Klingeln, und sein Vater richtete sich ruckartig in seinem Sessel auf, und der Film ging weiter.
Wenn ich ihn finde, schwor er sich jetzt, setzen wir uns hin und reden, so wie es sich gehört, wie zwei Menschen.
Okay, Dorrrri, hier ist dein churrasco , ruft Alfredo, als er zurückkommt und schwungvoll einen ovalen Teller vor ihn hinstellt. Entschuldige die Verzögerung, Amigo. Ich hab sie gebeten, dir den lomito noch ein bisschen mehr zu braten, denn der Magen eines Gringos kann in den ersten Tagen etwas empfindlich reagieren. Und wir wollen ja nicht, dass du uns krank wirst, eh ?
Dori schaut auf seinen Teller. Da liegen übereinandergestapelt ein dünnes Steak, ein Spiegelei, Avocadoscheiben, schwarze Bohnen und winzige Kartoffeln, an denen noch ein bisschen Erde klebt. Eine wirklich erstaunliche Mischung, doch er ist zu hungrig, um wählerisch zu sein.
Bon appétit , wünscht Alfredo und beginnt selbst zu essen. Dori bemerkt, dass er sein Messer wie eine Gabel benutzt: Er sticht es mit einer gezielten Bewegung ins Herz der Kartoffel und schiebt diese dann in den Mund. Nachdem er auch
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