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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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sein Steak mit der Gabel zerteilt und mit dem Messer aufgespießt hat, packt Alfredo den großen Ordner in seine Tasche und holt einen kleineren heraus. Ein paar Dinge, die du unterschreiben musst, sagt er und reicht Dori einige bedruckte Seiten. Nimm sie mit ins Hotel und lies sie, damit du weißt, was du da unterschreibst, eh ? Und inzwischen erklär ich dir ein bisschen, wie wir arbeiten. Ich sage »wir«, weil wir beide für mich jetzt ein Team sind. Ich hätte deinen Vater ja auch alleine suchen können, nicht wahr? Oder meine Informanten losschicken. Warum hab ich dich also hierherkommen lassen, Mister Dori? Weil das Reisen, Amigo, zwei große Dinge mit dem Menschen macht: Es regt den Appetit an und die Erinnerung. Für den Appetit bin ich verantwortlich – und für die Erinnerung du. Was das heißt? Dass du mir alles, was dir in Bezug auf deinen Vaterdurch den Kopf geht, erzählst. Auch wenn du meinst, es gehört nicht zur Sache. Alles! Zum Beispiel, deine Schwester Se-e-la, die hat heute im Büro angerufen und mich gefragt, was unsere Pläne sind. Ich habe gesagt, heut ruhst du dich aus, und morgen fahren wir auf den Markt von Otavalo. Und was erzählt sie mir da? Dass euer Vater bei seinem letzten Gespräch mit ihr erwähnt hat, er werde sich auf dem Markt von Otavalo einen Pullover kaufen, denn es sei kühl geworden. Jetzt versteh, wir – sie und ich – sind dieses letzte Telefonat bestimmt schon zehnmal durchgegangen, warum erinnert sie sich jetzt plötzlich an ein neues Detail? Weil deine und meine Reise bei ihr die Informationskanäle öffnen. Und nur aufgrund von vollständigen und genauen Informationen kann man Leute finden, believe in me , Mister Dori.
    Er mag James-Bond-Filme, mein Vater, hört Dori sich sagen.
    Cero cero siete? Alfredo springt darauf an. Double O Seven?
    Dori nickt. Wir sehn uns zusammen jeden neuen Film an.
    Sehr wichtig, sagt Alfredo, zückt einen Block und notiert.
    Aber was kann das helfen?, wundert sich Dori.
    In Quito gibt es fünf Kinos. Bis morgen finde ich raus, ob in einem davon gerade ein James-Bond-Film läuft. Es könnte deinen Vater doch interessieren, dort reinzugehn, oder?
    Ja, aber …
    Natürlich, unterbricht Alfredo ihn, die Chance ist klein. Aber was kann es schaden, dem Mann an der Kasse seine Beschreibung zu geben und ihm eine Belohnung zu versprechen, wenn er uns Informationen liefert. Verstehst du, jedes Detail, das du mir gibst, kann der Anfang des Fadens sein, der uns zu ihm führt.
    Dori nickt und isst die letzten Avocadostücke auf seinem Teller. Die große Indianerfrau, die neben ihm gesessen hat, erhebt sich mit Mühe, und auf ihren Platz sinkt nun eine junge Mutter, die in einem bunten Tuch ein winziges Kind umgebunden hat. Das Baby schaut Dori mit seinen schwarzen Augen an und brabbelt in der internationalen Sprache der Babys mit ihm. Dori erinnert sich, wie er und Roni nach Netas Geburt ein zu kompliziertes Tragetuchkauften, das sie nicht richtig binden konnten, auch nicht, nachdem sie sich zweimal das Bedienungs-Video angeschaut hatten, und wie sie sich in nächtlicher Verzweiflung schließlich mit dem Ding aneinandergebunden und über ihre Unfähigkeit gelacht hatten, sich geküsst, gelacht, sich geküsst und sich umschlungen.
    Und Frauen, liebt dein Vater Frauen, wie James Bond?, fragt Alfredo plötzlich.
    Frauen? Dori zuckt fast zusammen. Nein … was meinst du damit? Warum fragst du? Mein Vater … mein Vater hat meine Mutter geliebt.
    Das hat deine Schwester auch gesagt. Aber ich dachte, du … als Mann … würdest das vielleicht anders sehen.
    Nein, Dori spürt, wie in ihm die Wut bis in die Haarspitzen aufsteigt. Mein Vater gehörte zu der … konservativen Partei der Leute, die in ihrem Leben eine große Liebe haben. Sie waren … beide … du hättest sie sehn müssen. Meine Mutter war eine wunderbare Frau, er hat sie angehimmelt.
    Yes, yes, sure , sagt Alfredo unverschämt ungeduldig. Hast du aufgegessen, man ? Vamos , wir bringen dich jetzt ins Hotel.
    Das Hotel liegt in einem anderen Stadtteil, man nennt die Gegend zwar auch noch Quito, aber sie ist vollkommen anders als die Altstadt: plötzlich Banken, Bars, Hotels mit Neonschildern. Touristen-Englisch dringt an sein Ohrläppchen und rollt weiter. Vielleicht, überlegt sich Dori beim Gehen, ist ja dieser Ort hier die authentische Stadt, und die Altstadt ist nur eine Inszenierung für Touristen. Hier gibt es keine gebratenen Schweine in den Auslagen und keine streunenden Hunde auf

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