Neuland
den Straßen, dafür McDonald’s. Und einen Laden mit einem Poster von Madonna im Schaufenster. Roni mag Madonna. Sie war mit einer Freundin zum Konzert im Jarkon-Park gegangen. Davor hatte sie ihn gefragt, ob er mitkommen wolle, aber er hatte aus ihrer Stimme gehört, dass es ihr lieber wäre, wenn nicht. Geradezu erleuchtet war sie von dort zurückgekommen, in einem Schwindel der Begeisterung. Was für eine Show die hinlegt, rief sie immer wieder, während sie durchs Wohnzimmer schwebte. Und was für einen Körper sie hat. Da glaubst du doch nicht, dass die fünfzig ist!
Aber die Musik ist scheiße, hatte er gesagt, statt die Klappe zu halten.
Dein Geschmack.
Willst du mir sagen, dir gefällt diese Musik?
Erstens, ja. Und zweitens, bloß gut, dass ich mit Limor in das Konzert gegangen bin, und nicht mit dir. Du hättest bestimmt die ganze Zeit nur rumgenörgelt.
Hier ist dein Hotel, sagt Alfredo und bleibt vor einer breiten Treppe stehen. Alles schon organisiert, Amigo. Ein sauberes Zimmer wartet auf dich. Geh früh schlafen, denn morgen früh um halb sechs komm ich dich abholen. Außerdem hast du hier nachts auf der Straße nichts verloren. Das ist zu gefährlich. Die können dich einen Kopf kürzer machen, und was sag ich dann Seela? Wie soll ich ihr erklären, dass ich nicht gut auf ihren Bruder aufgepasst habe?
Dori nickt, berührt unmerklich den Pouch unter seinem Hemd, vergewissert sich, dass er noch da ist.
Und wenn du trotzdem rausgehn und etwas trinken willst, denn du bist ja immerhin ein Mann – Alfredo lächelt breit und zeigt einen Goldzahn, der bisher versteckt war –, dann nimm ein Taxi, Mister Dori, okay?
Vielleicht gerade weil er sich in den letzten Stunden von der Entdeckerfreude in der neuen Stadt sehr viel mehr hat mitreißen lassen, als er sich zugetraut hätte, verspürt Dori das Bedürfnis, es noch einmal laut auszusprechen: Ich bin nicht hierhergekommen, um in Bars zu gehen.
Und Alfredo sagt: Claro . Of course . Er klopft ihm auf die Schulter und schiebt ihn sachte in Richtung Hoteleingang.
*
Mitten in der Nacht wacht er auf. Die lokale Uhrzeit ist halb drei. Sein Körper denkt wohl, es wäre schon Morgen, und weigert sich,noch mal einzuschlafen. Roni fehlt ihm. Wenn er zu Hause ins Bett kommt, schmiegt er sich immer an sie, das heißt, an die Decke, in die sie sich vergraben hat, oder flüstert in ihr unbedecktes Ohr »komm zu mir«, und auch wenn sie den ganzen Abend, die ganze Woche, den ganzen Monat, das ganze Jahr so getan hat, als kennte sie ihn nicht, dreht sie sich im Schlaf zu ihm, drückt ihre Oberschenkel an seine Beine und legt ihren Kopf in die Kuhle zwischen seiner Brust und seiner rechten Schulter, und ihre Erschöpfung, die Erschöpfung der leitenden Direktorin, fließt in seinen Körper, langsam wie eine Droge.
Er kann ohne sie nicht mehr schlafen. Das ist die Wahrheit.
Als sie vor einigen Monaten nach Barcelona gefahren war, hatte er in ihrem gemeinsamen Bett Bücher gelesen. Er las eins aus und begann gleich das nächste. Ging in die Küche, machte sich einen Tee, versuchte, mit Kopfkissen einzuschlafen und ohne, auf seiner Seite und auf ihrer, dort roch es nach frischen Brötchen, das war ihr Geruch, also blieb er dort. Er versuchte sich vorzustellen, was sie wohl gerade in Barcelona machte. Da rief er sie an, obwohl es schon spät war. Sie ging nicht ran. Plötzlich dachte er, vielleicht ist sie mit jemand anderem zusammen, mit jemandem von ihrer Arbeit. Dieser Gedanke machte ihn munter. Sein Schwanz wurde hart bei der Vorstellung, dass sie mit einem anderen Mann schlief. Und je mehr er daran dachte, umso klarer wurde ihm, dass das wirklich gerade passierte, genau in diesem Moment. Dass ihre Bindung so stark war und so tief und so langjährig, dass er es über Tausende von Kilometern hinweg spürte. Ein paar Minuten später rief sie ihn verschlafen zurück. Hast du mich angerufen? Ja, wo warst du denn? Ich hab geschlafen. Allein? Was soll das heißen, Dori, fragte sie mit einer für sein Empfinden zu angestrengten Stimme, natürlich allein, was denn sonst?
Er zieht seine Reiselektüre aus der Tasche. Geschichtsbücher bringen immer Proportionen in die Dinge.
Er liest, dass die Inkas Ecuador bis 1535 regierten und dann von den Spaniern vertrieben wurden. Diese wiederum wurden vomBefreier des Kontinents, Simón Bolívar, vertrieben, was 1830 zur Gründung des unabhängigen Staates Ecuador führte.
Er denkt an seine kurze Tour durch die Stadt. Dem, was er
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