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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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reden oder mit deiner Tochter? Willst du nicht wissen, wie es ihnen geht?
    Das hat nichts mit Neugier zu tun, Dori. Sein Vater stellte den Stock zurück an seinen Platz.
    Stimmt, das hat mehr mit Elternschaft zu tun, dachte Dori, Mama zum Beispiel hätte sich nie so verhalten. Er spürte, wie sich in ihm eine Lanze der Wut aufrichtete und das Gefühl der Verwirrung vertrieb, das ihn seit dem Morgen umfing. Ze’ela geht es dreckig, sagte er seinem Vater. Die Situation mit Aviram ist völlig verfahren, die Kinder werden zwischen ihnen zerrissen. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie sehr sie mit dir reden will?
    Unruhig wanderte der Blick seines Vaters durchs Zimmer, und Dori dachte, vielleicht würde ja diese beunruhigende Information über die Lieblingstochter in ihm endlich den Vater aufwecken, den er kannte –
    Deine Schwester lebt nicht richtig, sagte er schließlich. Ich habe ihr das geschrieben, sie muss auf eine Reise gehen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Mehr kann ich nicht machen. Ich habe hier alle Hände voll zu tun.
    Aber sie ist deine Tochter, Papa! Ist dir egal, wie es ihr geht?
    Ich habe einen Ruf bekommen, Dori, und wenn man einen Ruf bekommt, dann muss man ihm folgen.
    Dori erinnerte sich an diesen Ausdruck aus dem Tagebuch, »ich habe einen Ruf bekommen«. Schon da hatte er ihn nicht verstanden.
    Auch unser Visionär Herzl hat sich, als er seinen Ruf bekam, dieser Sache ganz hingegeben, erklärte sein Vater und strich sich über den Bart.
    Dori verstummte. So hatte er sich diese Begegnung nicht vorgestellt. Ganz und gar nicht.
    Sein Vater schwieg zurück, völlig gelassen, das machte ihn rasend.
    Sag mal, begann Dori, auf der Suche nach einer Gemeinsamkeit, willst du nicht wissen, wie es um HaPoel steht? Du bist ja im Februar weggefahren und hast keine Ahnung, wie die Saison ausgegangen ist.
    Na, wie hat sie schon ausgehn können? Für einen Moment huschte ein irreführendes Lächeln über das Gesicht seines Vaters, das war der ursprüngliche Meni Peleg – sie haben letztendlich bestimmt in drei Spielen gegen Maccabi verloren. Vielleicht haben sie, wie immer, einen Pokal geholt.
    Dori hätte seinem Vater gerne gesagt: »Eben nicht«, und damit seinem anmaßenden Prophetengehabe den Boden unter den Füßen weggezogen. Aber er hatte Recht.
    Warte, er erinnerte sich an seine erste Bitte, auf die er noch keine Antwort bekommen hatte, ihr habt hier also noch nicht einmal ein Telefon für Notfälle? Was passiert denn, wenn jemand krank ist?
    Wir haben hier eine ambulante Praxis, die mit zwei Ärztinnen besetzt ist. Sie behandeln die Leute vor allem mit natürlichen Substanzen, die sie aus den Pflanzen, die hier in der Gegend wachsen, gewinnen. Und sie besitzen auch die komplette konventionelle Ausrüstung.
    Aber was ist so schlimm an Telefonen, Papa?
    Sie stören die Intimität. Die Konzentration. Und auch die Diskretion.
    Was habt ihr denn zu verbergen? Weißt du, an was ich denken musste, als dieser David uns bei der Ankunft befragt hat? Dass du hier eine kleine Armee ausbildest, wie in Akopalypse Now .
    Ganz im Gegenteil, Dori, das genaue Gegenteil ist der Fall. Dieser Ort ist unter anderem dazu da, Leuten, die aus der Armee kommen … ich meine seelisch Verwundeten … oder ihren Kindern, der zweiten Generation nach dem Trauma, einen geeigneten therapeutischen Raum zu bieten, um daran zu arbeiten, damit es ihnen nicht ergeht, wie es mir ergangen ist: dass der ganze Schmerz nach Jahren plötzlich ausbricht.
    Und im Rahmen der Therapie gibst du ihnen diese Droge zu trinken, von der du in deinem Tagebuch geschrieben hast?
    Nur wer diesen Trank noch nie genommen hat, kann ihn als Droge bezeichnen.
    Wie bitte? Also bitte, wie nennst du dieses Zeug dann?
    Sein Vater schloss die Augen. War er gekränkt? Überlegte er sich eine Antwort? Dori wusste es nicht. Der Vater, den er kannte, hatte nie so reagiert, hatte nie so lange die Augen geschlossen.
    Es ist ein Tor, sagte er schließlich, indem er die Augen wieder öffnete, das Tor zur Welt des Traumes. Zum Unbewussten. ZumMitgefühl, zum Zuhören und zu dem Ruf, den die Welt dir zuruft. Ein Tor, das die Indianer vor langer, langer Zeit entdeckt und kultiviert haben; sie verwenden es mit Bedacht, genau so, wie wir es in unsern Heilungsritualen versuchen.
    Dann ist Neuland im Grunde eine Farm zur … wie soll ich sagen … alternativen Behandlung von Posttrauma-Patienten?
    Neuland ist viel mehr, Dori, sehr viel mehr. Komm, schau mal. Er stand auf und

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