Neuland
öffnete eine Eisentür, die auf einen kleinen Balkon führte. Kalter Wind blies ins Zimmer, samt dem Schwefelgeruch, und Dori trat zu ihm. Die Morgenwolken verzogen sich, nur eine blieb über der Welt hängen, wie der große Felsen über dem Meer in Magrittes Das Schloss in den Pyrenäen . Ungeheure, grenzenlose Ebenen erstreckten sich vor ihnen. Der Vorgeschobene Beobachter in ihm meldete, keine feindlichen Elemente in Sicht. Er und sein Vater beugten sich vor und stützten sich auf ein hellblau gestrichenes Geländer. Die Farbe war nicht mehr ganz frisch, klebte aber bei der Berührung noch etwas. Das ist natürliche Farbe, sagte sein Vater stolz, ohne Gifte und ohne Chemikalien.
Dori nickte mit gespielter Anerkennung. Er hatte keine Ahnung, dass es so etwas wie »natürliche Farben« gab.
Das sind unsere landwirtschaftlichen Gebiete, sagte sein Vater und machte eine ausladende Bewegung, als bedeute er ihm: »Eines Tages, mein Junge, wird das alles dir gehören.« Wir wollen hier Soja anbauen, schon sehr bald. Soja verkauft sich gerade prima, auf der ganzen Welt. Und siehst du diese Ruine, rechts davon? Das war eine Synagoge. In diesen Tagen beenden wir die Planung zu ihrem Wiederaufbau und können sie hoffentlich bis zum nächsten Sommer aufmachen. Indessen überlegt die Arbeitsgruppe Verfassung, was für eine Synagoge es werden soll, was für eine Art von Jüdischkeit wir hier kultivieren wollen. Du kannst dir vorstellen, das ist … nicht ganz einfach. Hinter der Synagoge, das siehst du von hier nicht, legen wir gerade einen Basketballplatz an. Wärst du ein paar Monate später gekommen, hätten wir beide hier schon spielen können. Aber das ist nicht alles. Bei den Arbeiten für denPlatz haben wir warme Quellen entdeckt, aguas termales nennen sie das hier. Wir haben uns noch nicht entschieden, was wir damit machen. Vielleicht verkaufen wir das Gebiet mit den Quellen, um mit dem Erlös andere Aktivitäten zu finanzieren, oder wir werden selbst ein Spa betreiben. Siehst du da rechts die Dämpfe aus der Erde aufsteigen?
Sehe ich. Stört euch dieser Geruch nicht?
Welcher Geruch?
Schwefel.
Du riechst hier Schwefel? Er schnupperte in die Luft. Ich nicht.
Doris Blick wanderte nach links, auf Neuland, das voller junger Menschen war. Obwohl sie gerade Pause hatten und der Boden nach dem Regen schlammig war, arbeiteten viele weiter, bauten, bohrten, schraubten, schichteten Bausteine aufeinander. Zu der einen Windturbine waren bereits zwei weitere hinzugekommen, und die vierte wurde gerade aufgerichtet. Hinter dem Turbinenteam tischlerte ein anderes Zweierteam. Ein Mann fügte farbige Bretter zusammen, an denen Eisenketten befestigt wurden, und eine junge Frau sägte ein rundes Holzbrett, das aussah wie der Boden eines Karussells. Sie bauen einen Spielplatz, antwortete sein Vater, noch bevor Dori ihn fragen konnte. Benjamin, das erste Baby von Neuland, kommt bald zur Welt, und das beschäftigt die Leute hier sehr.
Dori versuchte, Inbar bei einem der arbeitenden Teams auszumachen. Wie viele Stunden hatte er sie nicht gesehen? Nicht lange, aber sie fehlte ihm schon. Die Inbar in ihm schmerzte. Warum war er so langsam, warum verstand er diese Dinge immer erst so spät? Wenn sie ihn noch einmal in ihre Hütte einladen würde – Sind sie nicht schön, diese jungen Menschen?, fragte sein Vater. In den ersten drei Monaten meiner Reise hab ich sie nur beobachtet. Denn bevor … bevor ich den Trank genommen habe, verlief alles ziemlich normal. Wenn du als älterer Mensch unterwegs bist, kommst du kaum mit Leuten ins Gespräch. Deshalb habe ich die meiste Zeit nur beobachtet. Die Natur oder die Jugendlichen. Zuerst hab ich mir junge Leute aus der ganzen Welt angeschaut, aber nach und nach konzentrierte ich mich auf die Israelis. Sie haben etwas … Hypnotisierendes. So viel Energie. Und so wenig Freude. Bei jedem von ihnen habe ich gleich die Wunde gesehen. Ich habe sie mir nicht vorgestellt, ich habe sie gesehen. Die meisten wollten ihre Wunde nicht wahrhaben, aber es gab auch einige, die ihren Reisegefährten davon erzählten. Eure Generation ist da so viel offener. Und ich hab am Nebentisch gesessen und mitgehört. Habe sie einerseits bewundert, und auf der anderen Seite … nichts verstanden.
Was hast du nicht verstanden?
Wie junge Leute dermaßen deprimiert sein können. Warum sie im Vorhinein schon die Hoffnung aufgeben, nach ihrer Rückkehr etwas verändern zu können. Ich glaube, da ist mir die Idee gekommen,
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