Neuland
Gehalt, das ihn zwang, drei Abende pro Woche außer Haus zu arbeiten und vor Erwachsenen Vorträge zu halten, den dünnen Lehrplan, den er wo er nur konnte zu umgehen suchte, und den Idioten von Schulleiter, mit dem Kulturbegriff eines Oberleutnants. Zudem die beiden Gestörten, die es in jeder Klasse gab, die Tatsache, dass man von fünfzig Minuten auf dem Papier de facto nur zwanzig unterrichtete, und den tief sitzenden Zweifel der heutigen Jugendlichen daran, dass es nötig sei, etwas über die Vergangenheit zu lernen, gegen den er ununterbrochen ankämpfen musste um sie zu überzeugen, dass ihre Gegenwart nur die äußere Hülle war. Auch das kollektive Hochziehen der Augenbrauen, wenn er in der Autowerkstatt oder beim Arzt sagte, er sei Lehrer, und die leichte Überheblichkeit von Ronis Kollegen bei ihren protzigen Partys, für die sie in letzter Zeit sogar einen Teil des öffentlichen Strandes illegal absperren ließen; eine Überheblichkeit, die, wie er spürte, langsam auch auf Roni überging – vielleicht hatte er ihr deshalb, als er nach Hause kam, das Bild, das seine Schüler für ihn gemacht hatten, nicht gezeigt, sondern es gleich zu seinen Ordnern in den Schrank gestellt.
Er schlägt das Buch zu, knipst die Leselampe aus und versucht, wieder einzuschlafen. Nur nicht auf die Uhr schauen, sagt er sich, nur nicht auf die Uhr schauen. Wenn er auf die Uhr schaute, würde er sehen, wie viel Zeit vergangen ist, und das würde ihn nur noch mehr stressen und wieder hellwach machen.
Er schaut auf die Uhr. Viertel nach drei. Die Zeit, zu der Neta normalerweise aufwacht und ihn ruft: Pa-pa! Pa-pa, komm! Der Junge hat schon gelernt, dass Mama so tief in ihre Decken vergraben ist, dass sie ihn unmöglich hört. Und Dori steht schnell auf, schleift seine Decke mit, verzeichnet sich einen kleinen Sieg in dem heimlichen Ringen mit Roni um die Gunst des Jungen. Neta knietbereits aufrecht im Bett, sein Haar steht zu Berge. Leg dich zu mir, bittet er, und Dori zieht das ausziehbare Zweitbett hervor und legt sich in seiner ganzen Länge neben ihn. Gib mir die Hand, verlangt Neta, Dori schiebt die Hand zwischen den seitlichen Holmen hindurch und hält die kleine, feuchte Hand seines Sohnes. Sing mir das Lied von den HaPoel -Fans »Wer nicht hüpft – ist gelb«, fordert er, und Dori singt die Zeile langsam in der »unplugged version«, mehrere Male. In meinem Zimmer riecht es, sagt Neta immer, nachdem Dori zu Ende gesungen hat. Hier riecht es nicht, antwortet Dori, stets dieselbe Antwort. Warum bist du aufgewacht? Ich hab was Schlechtes geträumt. Was denn? Sie haben mich geärgert. Wer hat dich geärgert? Kinder. Welche Kinder?
Schweigen. Schon ein Jahr lang derselbe Dialog. Und dasselbe Schweigen am Schluss.
Manchmal schläft Neta ein paar Sekunden später ein, dann kehrt Dori zurück, um bei Roni zu schlafen. Manchmal weigert sich der Junge aber, seine Hand loszulassen, dann schläft er in seinem Zimmer ein und wacht morgens mit schmerzendem Nacken auf und versteht im ersten Moment nicht, wo er ist. So wie im Flugzeug.
Dori wüsste gern, was jetzt zu Hause passiert, wo er nicht da ist. Ruft Neta noch immer nach ihm? Beklagt er sich noch immer über den Geruch im Haus und wacht morgens mit einem Weinen auf, für das es keinen ersichtlichen Grund gibt? Plötzlich muss er es wissen, muss mit ihm reden, mit ihnen beiden. Er versteht nicht, warum er das noch nicht getan hat. Wie es sein kann, dass es in diesem Zimmer kein Telefon gibt. Was ist das für ein Hotel, wo es in den Zimmern kein Telefon gibt? Er geht hinunter zum Empfang, in Trainingshose und weißem T-Shirt, weckt den schlafenden Rezeptionisten, der in einer Art Gitterkäfig sitzt, und fragt ihn, was ein Gespräch kostet. Der Preis ist ein Skandal. Da beherrscht er sich lieber noch ein paar Stunden und ruft am nächsten Tag aus Alfredos Büro an. Und was kostet es, eine E-Mail zu verschicken? Okay, das geht schon eher. Ohnehin lebt Roni ja quasi in ihrer Mailbox.Sie wird sie sofort sehen. Der Hotelangestellte schließt den Gitterkäfig auf und lässt ihn an seinen Computer.
Hey, meine Geliebte
schreibt er, dann verbessert er:
Hey, meine Geliebten,
bin in Ecuador angekommen. Quito ist sehr bunt, und ich fange an zu begreifen, was meinen Vater an diesem Kontinent so fasziniert.
Alfredo ist ganz prima. Redet ein bisschen viel, aber ich glaube, er versteht was von seiner Arbeit.
Jetzt ist es hier Nacht. Ich schlafe nicht ein, wegen des Jetlags oder aus
Weitere Kostenlose Bücher