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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Sie und Natan hatten ihre erste Wohnung in Haifa gekauft. Sie arbeitete drei Tage die Woche bei der Stadtverwaltung, beriet Familien in Krisensituationen und wurde dabei wieder ein bisschen Lili Freud, von halb neun bis halb eins, so dass sie Hanna aus dem Kindergarten abholen konnte.
    Sie könnte so tun, als sei sie auch jetzt bei der Arbeit, dachte sie, dann würde der Musikant wieder gehen.
    Er klopfte zum zweiten Mal an die Tür, diesmal rhythmisch: tam-ta tam-ta ta-ta-ta-ta-tam –
    Mach mir auf, bat er, ich weiß, dass du da bist, Lili. Ich rieche dich durch die Tür.
    Dreist, dachte sie, dreist war er schon immer gewesen, und machte ihm auf.
    Er ist noch hässlicher geworden, das war ihr erster Gedanke. Auch vorher war er keine Schönheit gewesen, aber jetzt noch weniger. Noch glatzköpfiger als zuvor, wenn das überhaupt möglich war, und auf der Stirn lauter listige Falten.
    Du bist schöner, als ich dich in Erinnerung habe, sagte er, streichelte ihre Wange, setzte sie in Brand.
    Du eher nicht, sagte sie.
    Willst du mich nicht hereinbitten?, fragte er lachend. Mir etwas zu trinken anbieten? Ich sehe, deine guten Umgangsformen hast du in Polen zurückgelassen, Lili.
    So hatte sie schon lang keiner mehr aufgezogen, schon sechs Jahre nicht. Natan tat das nie, Hanna hatte diese Fähigkeit noch nicht entwickelt, und bei der Arbeit waren alle anderen Beraterinnen unbeleckt von jeglichem Humor.
    Wie viel Zucker?, fragte sie, indem sie in die Küche ging, um Kaffee zu machen. Er hinter ihr her, sein Blick brannte auf ihrem Hintern, wie damals auf dem Schiff.
    Drei Löffel, bitte.
    Drei?
    Das Leben ist kurz.
    Sie warteten schweigend, bis der Kessel pfiff. Lili schaute auf ihre Schuhspitzen, Fima schaute auf sie.
    Soll ich dir eine Führung durch die Wohnung machen?, schlug sie vor, nur um dieses peinliche Sich-Gegenüberstehen zu beenden.
    Warum nicht, lächelte er, warum nicht.
    Sie zeigte ihm die Dusche. Ihr und Natans Schlafzimmer, die Laken waren zerwühlt, das Fenster mit Blick auf die Bucht von Haifa. Das Gästezimmer. Nachts schläft das Mädchen hier, wir klappen ihr das Bett auf, sagte sie, indem sie auf das Klappbett wies.
    Er lächelte.
    Weißt du, dass ich eine Tochter habe?, fragte sie.
    Und ob ich das weiß, sagte er, lächelte weiter.
    Was grinst er die ganze Zeit so, dachte sie wütend. Schon sechs Jahre hatte niemand sie auf diese Art zum Kochen gebracht.
    Auch ich habe ein Kind, sagte er. Einen Sohn, im selben Alter wie Hanna, bald fünf.
    Das Pfeifen des Wasserkessels rief sie zurück in die Küche. Woher wusste er, wie alt Hanna war? Sie erschauderte bis in die Haarspitzen.
    Sie goss ihm Kaffee ein, verschüttete aus Versehen ein bisschen, putzte es schnell mit einem Lappen weg, versuchte, über die bedächtige Putzbewegung etwas Selbstsicherheit zu gewinnen: Sie hatte ein Haus. Wisch. Sie hatte einen Mann und ein Kind. Wisch. Niemand würde sie jetzt erschüttern. Wisch Wisch.
    Was führt dich dann zu mir?, fragte sie ihn, so wie sie die Leute fragte, die zu ihr in die Beratung kamen.
    Ich war in der Gegend, und da dachte ich, ich komm mal vorbei, das ist alles. Wir treten heute Abend in Haifa auf, fuhr er fort, als er ihr ungläubiges Gesicht sah.
    Du spielst immer noch?
    Ja.
    Kann man damit Geld verdienen?
    Nein.
    Wie verdienst du dann dein Geld?
    Ich verdiene kein Geld. Israel ist ein Land, das seine Musikanten frisst.
    Fima senkte den Blick, und sie nutzte diesen Moment, um ihn anzuschauen. Hinter dem Lächeln war sein Gesicht eingefallen. Das war es. Die Nase zog es nach unten, sogar sein Adamsapfel ragte nicht mehr so herausfordernd hervor, als habe er sich verschämt zurückgezogen. Auch seine Schultern waren eingesunken.
    Sie spürte, dass ihr Herz bei diesem Anblick weit wurde und wie sich gegen ihren Willen eine erste feine Faser von ihr zu ihm reckte.
    Ich überlege wegzugehen, sagte er.
    Weggehen? Was bedeutet das?
    Nach Amerika. Da haben Künstler eine Zukunft. Hier geht allesin Flammen auf, Lili. Erinnerst du dich an Aharon? Der, der mit Gabeln getrommelt hat? Er ist zur britischen Brigade gegangen und in El-Alamein getötet worden. Und Giora, der Geiger? Der beim Geigen die Beine in die Luft geworfen hat? Der wurde durch Schüsse eines Scharfschützen in Birya getötet. Und es wird nicht besser, Lili, es wird nur immer schlimmer. Die wollen uns hier nicht, unsere Nachbarn. Für immer und ewig werden wir ihnen mit gezücktem Schwert gegenüberstehen müssen, und wer die ganze Zeit

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