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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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gewesen. Natan arbeitete damals in den Fabriken am Toten Meer und kam nur alle zwei Wochen nach Hause. Sie war so alt, wie Inbar heute ist, dreißig, vielleicht ein bisschen drüber.
    Was hatte sie an diesem Tag getragen? Hatte sie, einer Prophezeiung ihres Herzens folgend, Parfüm aufgetupft?
    Sie setzt sich auf ihren Erinnerungsstuhl, schaut in einem ganz bestimmten Winkel zum Fenster und stellt den Ventilator auf zwei, nicht auf eins und nicht auf drei, und hält in der Hand ein Glas Tee, normalen Wissotzky-Tee, nicht eine dieser neuen Sorten mit den lächerlichen Namen.
    Die Details sind ihr wichtig, wenn sie sich an jenen Morgen erinnert. Für jenen Morgen, versteht sie plötzlich, hat sie diese ganze Reise unternommen. Die vielen Erinnerungen an das Schiff und an den Kibbuz, in die sie in den letzten Wochen versunken war, waren nur die Stufen gewesen, die sie zu jenem Morgen bringen sollten. Denn der war, mehr als jeder andere Punkt, die Wegkreuzung ihres Lebens gewesen.
    Sie nimmt einen Schluck Tee, mehr nicht, und schließt die Augen. Dann hört sie das Klopfen an der Tür. Im ersten Moment ist sie sich nicht sicher: Habe ich wirklich ein Klopfen gehört, oder ist das in der Erinnerung?
    Doch das Klopfen wird immer stärker, zu regelrechten Schlägen gegen die Tür, und dann erzittern die Wände der Wohnung. Das Porträt von ihr, das sie von einem Maler bekommen hat, fällt von der Wand, das Glas zerbricht. Widerwillig steht sie von ihrem Erinnerungsstuhl auf, fegt die Glasscherben auf und wirft sie in den Mülleimer. Dabei schaltet sie den Fernseher an. »Bombenangriff auf Haifa«, lautet die Schlagzeile im roten Band unten auf dem Bild. Dann kommen auch schon die Anrufe. Die Nachbarn holensie nach unten, in den Bunker. Der Bunker riecht nach nassem Hundefell. Später ruft Hanna an, sie werde den nächsten Flug nehmen. Und wo ist Inbar? Danach kommt Hanna bei ihr an. Ohne ihren Nazi. Brutto? Bruno? Aber wo ist Inbar? Hanna spricht am Telefon mit einem Ejtan. Plötzlich kann sie sich nicht erinnern, wer das ist. Hanna sagt, sie fahren zu ihm, bis das Schlimmste vorüber ist. Danach ruft Inbar an und sagt, dass auch sie zurückkommt. Lili geniert sich, Hanna zu fragen, wo Inbar gewesen ist, denn das müsste sie doch wissen. Bevor sie zum Auto hinuntergehen, sagt sie Hanna, diesen Stuhl hier, den möchte ich mitnehmen, und zeigt auf den Erinnerungsstuhl, und ihre Tochter sagt, dafür haben wir im Auto keinen Platz. Noch eine Rakete schlägt im Viertel ein, ohrenbetäubender Lärm zerreißt Lilis Trommelfell, und durch den Riss im Trommelfell, spürt sie, laufen ihre Erinnerungen aus, aber sie besteht darauf. Sie weiß, ohne ihren Stuhl würde sie nicht zurückkehren können zu jenem entscheidenden Morgen, und Hanna gibt nach, sie haben keine Zeit zu diskutieren, denn jeden Moment kann die nächste Rakete runterkommen, und sie schieben den Stuhl irgendwie auf den Rücksitz, so dass ein Bein zwischen ihnen beiden nach vorne ragt, und fahren den Berg hinunter, reihen sich ein in den kriechenden Stau derer, die aus der Stadt fliehen.

V
Altneuland
Dori
    Seit seiner Rückkehr war er ein Außerirdischer in seinem Leben.
    Das heißt, ein Dori verrichtete alle Dinge, die er auch vor der Reise getan hatte, und ein anderer Dori betrachtete das Ganze von der Seite. Dabei fiel ihm plötzlich vieles auf.
    Zum Beispiel, wie schön Roni war. Nicht einfach schön, sondern so, dass die Leute sich nach ihr umdrehten. Und dass sie mit ihm nicht glücklich war. Sogar in den seltenen Momenten, in denen sie lächelte, sah man einen Anflug von Bitterkeit. Und dass sie nicht mehr miteinander redeten, das heißt, sie redeten schon, aber der Weg jedes Gespräches war vorgezeichnet und führte unweigerlich in eine Konfrontation.
    Genau wie bei Ronis Mutter und ihrem Vater, die, als der Krieg begann, aus dem Kibbuz zu ihnen geflohen waren und sich ihrer Wohnung bemächtigt hatten. Er fand immer schon, dass ihre Eltern hart gegeneinander waren. Jetzt sah er: Es gab doch einen Unterschied. Ronis Vater war hart gegen ihre Mutter und liebte sie, Ronis Mutter war hart gegen ihren Vater und liebte ihn nicht.
    Was Liebe ist? Schwer zu sagen. Der Wunsch, einander Gutes zu tun? Neta liebte er, von ganzem Herzen. Die Momente mit Neta waren die einzigen seit seiner Rückkehr, in denen er sich nicht fremd vorkam. Wie war es dann möglich, dass das Beste, was er für seinen Sohn hatte tun können, war, von ihm wegzufahren?
    Keine Frage, das zehrende

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