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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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das Schwert hält, hat keine Hand frei, um Musik zu machen, um zu schreiben, um zu lieben.
    Lili verstummte. Was sollte sie sagen.
    Wir hätten nach Uganda gehen sollen, fuhr er fort, oder nach Argentinien, oder einfach von Ort zu Ort weiterziehen, dann hätten wir nicht einen solchen Hass auf uns gezogen. Stattdessen haben wir auf diesem alten, schlechten Land beharrt, wo die glühende Sonne alles versengt. Ein Land, an dem die Erwartungen zu vieler Religionen hängen. Ein Land mit einer unerträglichen Akustik. Wie soll ein Klang richtig schwingen, bei so viel Spannung in der Luft?
    Dann bist du gekommen, um dich zu verabschieden, vor der Reise?, unterbrach sie seinen Redefluss, bist du deshalb gekommen, Fima?
    Nein, sagte er, ich bin gekommen, um dich mitzunehmen.

Hanna
    Nachts war es still. Jossi war mit Frau und Kind nach Australien zurückgeflogen. Ihre Mutter ging schlafen. Ejtans Mutter ging schlafen. Ejtans pubertierende Brüder kicherten noch ein bisschen auf dem zugehängten Balkon, bis er zu ihnen hinausging und sie mit einer sanften Mahnung zur Ruhe brachte, dann kam er zurück und setzte sich zu ihr vor den Fernseher. Gemeinsam schweigend sahen sie die Bilder des Krieges. Er kannte ihre Ansichten (Territoriumbedeutet Tod). Sie kannte seine (Territorium bedeutet Leben). Sie hatten kein Interesse, auch noch eine innere Front aufzumachen. Deshalb setzte sie sich so hin, dass er auf ihrer schwerhörigen Seite war, und sie redeten nicht. Ab und zu zeigte man das Bild eines Kindes in Uniform, darunter der Satz: »Die Beerdigung findet morgen statt«, und ihr Herz blutete vor Sehnsucht nach Joavi. Sie ließ der Sehnsucht ein paar Minuten freien Lauf, denn sie hatte gelernt, dass es keinen Sinn hatte, die erste, scharfe Welle zu bekämpfen, erst danach rief sie sich in Erinnerung, dass sie nur für beschränkte Zeit hier war, in diesem Getto, das sich Staat Israel nannte. Sie hatte ein schönes Haus, schöne Dinge und einen schönen Mann an einem anderen, zurechnungsfähigeren Ort.
    Nach der Zusammenfassung der Meldungen zog Ejtan sich in sein Zimmer zurück. Morgen musste er zur Arbeit. Zwar gingen die Bestellungen aus dem Landesinnern zurück, hatte er ihr erklärt, aber im Norden wollten die Leute ihre Lampen, die zertrümmert wurden, ersetzen, und wenn man schon etwas ersetzte, konnte man sich dabei vielleicht auch ein bisschen verbessern. Er machte ihnen einen guten Preis, natürlich. Einen Sonderpreis für die Bewohner des Nordens. Wir sind doch alle Brüder. Diesmal kriegen sie die Raketen ab, nächstes Mal können wir es sein.
    Auf dem Weg zum Schlafzimmer blieb er an der Computerecke stehen, bei Inbar. Kommst du ins Bett?, fragte er sie, jeden Abend.
    Gleich, sagte sie, jeden Abend, ohne den Kopf vom Bildschirm zu heben.
    Nachdem er ins Schlafzimmer gegangen war und die Türe hinter sich zugemacht hatte, fragte Hanna Inbar: Soll ich dir einen Kaffee machen?
    Nur, wenn du dir auch einen machst.
    Hanna legte einen Keks dazu, wie Inbar es mochte, stellte die Tasse vorsichtig auf den Tisch, in sicherer Entfernung von der Tastatur.
    Schreibst du weiter an dem, was du auf deiner Reise begonnen hast?, fragte sie eines Abends, als sie sich nicht mehr beherrschen konnte.
    So kann man es nennen. Inbar lächelte, verbarg etwas.
    Früher hätte Hanna darauf bestanden, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen, hätte vielleicht sogar unbemerkt auf den Bildschirm geschaut. Heute nicht. Zwischen ihnen war ein neues, stilles Einvernehmen gewachsen. Keine Nähe, aber doch ein Einvernehmen, und das wollte sie nicht gefährden. So klappte sie ihren eigenen Computer auf und schrieb Bruno ihre Sehnsucht und las seine.
    Wenn du nicht zurückkommst, komm ich zu dir.
    Ich komm zurück. Dieser Ort hier ruft zu viele Dinge in mir wach, die ich vergessen will.
    Es ist merkwürdig, alleine zu essen.
    Es ist merkwürdig, alleine zu schlafen.
    Dann komm doch, meine Hanna, jetzt. Ich schick dir ein Ticket.
    Aber meine Mutter –
    Nachdem sie zu Ende geschrieben hatten, machte sie ihre Doktorarbeit auf, überflog wieder das Kapitel des Wandernden Juden, das inzwischen fertig war. Vielleicht, überlegte sie sich, sollte ich noch einen Anhang schreiben, »Der Jude, der andre wandern lässt« . Seit wir aufgehört haben, selbst zu wandern, sorgen wir dafür, dass andere Völker wandern müssen, entwurzeln sie aus ihren Dörfern und zerstören ihre Häuser mit sehr unintelligenten Bomben.
    Aber das ist eine andere Arbeit, sagte sie sich und

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