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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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hatte ihre Hand unter sein Hemd geschoben und seinen Bauch berührt – Und als er Ronis Bauch küsste, von oben bis sehr viel weiter unten, kam ihm auch Großvater Fima in den Kopf, der sagte, es ist nicht gut, mit einer Frau zu leben, wenn man eine andere im Herzen trägt.
    Dann hatte Roni ihn an den auf der Reise länger gewordenen Haaren gepackt, ihn hochgezogen und am Kinn gehalten, wie man ein aufmüpfiges Kind hält, und gefragt, was ist los? Alles in Ordnung? Bist du hier? Und er wich dem bohrenden Blick ihrer grünen Augen aus und sagte, ja, nur ein bisschen besorgt wegen des Reservediensts morgen. Und sie sagte, morgen ist morgen, biss ihn leicht unterhalb seines Adamsapfels, an dieser Stelle, die nur sie kannte, und er gab sich ihr hin, trotz allem pulsierte in ihm noch etwas deutlich für sie, und sogar sehr stark. Trotz allem ist sie ihm an so vielen Stellen seiner Seele eingebrannt –
    Und nachdem sie beide mit dem üblichen zeitlichen Abstand gekommen waren und nebeneinanderlagen und sie ihm ausführlich erzählt hatte, was für eine wunderbare Zeit sie mit Neta gehabt hatte, während er im Ausland gewesen war, und wie toll es war, dass andere Kinder sich jetzt mit ihm verabredeten, fragte er, willst du wissen, wie es in Neuland war?
    Und sie sagte, klar, aber nicht jetzt. Ich bin wahnsinnig müde. Morgen, ja?
    Am nächsten Tag dachte er, würde sie fragen. Und dachte, wenn ich ihr erzähle, wird das vielleicht eine Brücke schlagen, doch sie fragte nicht. Und auch an den darauffolgenden Tagen nicht. Anfangs erstaunte es ihn noch, dann ärgerte es ihn, und dann trieb es ihn an den Computer, um an Inbar zu denken und ihr zu antworten, und die E-Mails wurden immer länger.
    *
    Nachdem er die Wäschehäufchen nach Eskas Anweisung auf die verschiedenen Schränke verteilt hatte, machte er den Computer auf, hoffte und fürchtete sich, in der Inbox inbarbenbenisti zu finden.
    Wenn er ihren Namen in der Inbox sah, erfüllte ihn eine Freude mit einem Kern von Traurigkeit, ein Sehnen mit einem Kern der Angst. Wenn er ihren Namen in der Inbox sah, schmeckte er ihren Geschmack, als sie sich auf dem Flughafen geküsst hatten.
    Doch schon über eine Woche erschien ihr Name nicht mehr. Sie schrieb ihm nicht. So hatten sie es vereinbart. Wir schreiben uns nicht, aber nach dem Krieg treffen wir uns an der Klagemauer . Doch seit wann hielt sie sich an solche Abmachungen? Und mit wem außer ihr konnte er über Neuland reden?
    Irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Er schrieb ihr: Lustig. Ich will nur, dass der Krieg aufhört, damit wir uns endlich treffen können , und er zögerte, ob er das abschicken sollte. Er hatte so viel zu verlieren. Im Grunde alles, was er besaß. Und er entschied sich, sich nicht zu entscheiden. Und auf die Nacht zu warten, wenn alle schlafen würden und er klarer denken könnte.

Lili
    Fima hatte morgens um fünf nach halb elf an die Tür geklopft. Jetzt, wo Inbar aus dem Zimmer ist, der Tee auf der Anrichte steht und sie in Ejtans Wohnung sitzt, weit weg von wo die Raketen einschlagen, gelingt es ihr, das Bild der Uhr aus dem Vergessen heraufzuholen: Der kleine Zeiger steht zwischen zehn und elf, der große zeigt auf sieben. Da klopft es.
    Einige Monate nachdem der Krieg zu Ende war, erreichten die ersten Überlebenden aus den Lagern und aus den Wäldern die Küste des Landes, oder die Küste Zyperns, und von dort die Küste Israels. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie schon beinahe mit Gewissheit, dass der ganze weit verzweigte Baum ihrer Familie schon in den ersten Kriegsmonaten gefällt worden war; die Zweifel daran nagten nicht mehr an ihr. Und dennoch blieb ihr immer wieder das Herz stehen, wenn sie auf der Straße kleine, beleibte Männer sah, die sie an ihren Vater erinnerten, und Frauen mit dem Profil ihrer Schwestern, und immer, wenn es klopfte, eilte sie mit der unbegründeten, irrationalen Hoffnung zur Tür, dass doch ein Wunder passiert sei – (Und nicht nur Lili. Es gab Tausende wie sie – nicht die sonnenverbrannten Sabres und auch nicht die bleichen Überlebenden, sondern eine Art Mischwesen, die noch nicht einmal einen eigenen Namen hatten, denn wie hätte man sie nennen sollen? Secondhand-Überlebende? Schoah-Versäumer?) Sie schaute durchs Guckloch. Fima.
    Draußen stand Fima.
    Sechs Jahre lang hatte sie ihn nur in ihren Träumen gesehen. Nun war er hier, in Fleisch und Blut. In diesen sechs Jahren hatte sie ihre Tochter geboren und Hanna genannt, nach ihrer kleinen Schwester.

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