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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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stand er neben Dori, der seinerseits ohne Kamera dastand, weil er nicht gern fotografierte. Er mochte es nicht, wenn etwas zwischen ihm und Neta war. Und jetzt schon gar nicht, denn seit seiner Rückkehr fühlte er sich ohnehin wie auf Distanz. Nett von dir, fauchte Roni ihn in dem zynischen Ton an, den sie sich in den letzten Tagen zugelegt hatte, echt nett von dir, dass ich hier jetzt filmen soll. Man muss ja nicht immer alles filmen, hätte er gern gesagt, das wäre auch kein Unglück, aber er schwieg. Sie hatten sich schon zu Hause gestritten, bevor sie aufbrachen. Und im Auto, auf dem Weg zum Kindergarten. Dinge, die er vor seiner Reise wegstecken konnte, waren ihm jetzt unerträglich. Ihr ging es vielleicht auch so. Jedenfalls brauchte er jetzt nicht noch einen Streit, schon gar nicht vor den anderen Eltern.
    Das schönste Kind im ganzen Kindergarten tanzte jetzt, sang und beteiligte sich bei allen Spielen. Es war das erste Mal, dass Neta überall mitspielte. Bisher hatte er sich bei solchen Feiern verschreckt ans Hosenbein seines Vaters geklammert und mit sturem Kopfschütteln alle Versuche der Kindergärtnerinnen und seiner Eltern, ihn zum Mitmachen zu bewegen, abgewiesen.
    Jetzt tanzte er. Eine Runde, Applaus, noch eine Runde, Applaus. Und er lächelte dabei sogar ein Mädchen mit Sommersprossen an. Dori staunte. Die gläserne Schranke, die ihn so lange Zeit zurückgehalten hatte, war plötzlich verschwunden. Dori wusste aber auch, dass möglicherweise er selbst die gläserne Schranke gewesen war.
    Ich bitte alle Kinder, sich jetzt hinzusetzen, sagte die Kindergärtnerin, wir wollen die Abschlussurkunden verteilen. Da löste sich Neta plötzlich aus dem Haufen der Kinder und rannte zu Dori.
    So schien es ihm im ersten Moment, aber nein – er rannte zu Roni. Kleine Umarmung, rief er, sprang an ihr hoch, er sagte das »klein« dazu, um sie zu beruhigen, um ihnen zu sagen, dies sei nur ein Zwischenstopp zum Auftanken, dann würde er gleichwieder lieb sein und zu den andern gehen. Ein Genie, dieses Kind. Roni gab Dori die Kamera, damit sie den Jungen richtig umarmen konnte, und er nahm den Apparat, was blieb ihm anderes übrig, und schaute durch den Sucher, wie alle Väter, und sah, wie sein Sohn zu den anderen Kindern zurückkehrte und sich auf den Platz setzte, den das Mädchen mit den Sommersprossen für ihn freigehalten hatte, und wie er aufstand, als die Kindergärtnerin seinen Namen aufrief. Close-up , sagte Roni, drück auf den grünen Knopf, dann hast du ein Close-up ! Wie leichtfüßig Neta zu seinem Platz zurückging, wie selbstsicher, ganz anders als vor der Reise, er war ein anderes Kind, hielt stolz seine Urkunde, strahlte Gesundheit aus, schaute zu seiner Mutter.
    *
    Roni saß am Steuer. Dori schaute sich Netas Zeichnungen an. Zum Abschied hatte man den Eltern eine Mappe überreicht mit allen Werken ihres Kindes aus dem letzten Jahr, chronologisch geordnet. Wunderbar! Ist das schön! Schau doch mal, toll! Er war absolut glücklich. Man sieht von Bild zu Bild, wie du dich entwickelst. Und diese Farben – wow. Woher weißt du, welche Farben du wählen musst?
    Manche Farben passen zueinander und manche eben nicht.
    Hat euch das die Kindergärtnerin beigebracht?
    Nein.
    Wer dann?
    Niemand. Ich merke selbst, wann es passt.
    Eines der letzten Bilder trug die Überschrift »Meine Familie«. Hast du das gesehn?, fragte er Roni.
    Ja, das ist aus der Zeit, wo du nicht hier warst.
    Bei der Familie, die Neta gemalt hatte, standen Mama und Papa in der Mitte, und an jeder Seite ein Kind.
    Wer ist diese Familie, die du da gemalt hast?, fragte er Neta vorsichtig, wollte nicht psychologisieren. Das sind wir, sagte der Jungeselbstbewusst. Und wer ist das andere Kind? Neta schwieg, öffnete und schloss das Fenster mit dem linken Knopf. Ist das dein Bruder? Hättest du gern einen Bruder? Nein, sagte Neta, das ist Neta. Du? Ja, ich. Und das da, das bist du auch, rechts von der Mama? Ja, das ist auch Neta. Wozu braucht es noch einen Neta?, fragte Dori. Ich weiß nicht, Papa, krieg ich noch ein Marshmallow?
    Wenn Mama es erlaubt, sagte Dori.
    Wenn Papa es erlaubt, sagte Roni.
    Zu Hause stellte sich heraus, dass Dori bei der Kamera aus Versehen auf den falschen Knopf gedrückt und die Aufnahme unterbrochen hatte. Die ganze Überreichung der Urkunden war also nicht dokumentiert. Roni wurde schier wahnsinnig, ihn ließ es kalt. Ist doch nicht schlimm, sagte er, wir haben es ja miterlebt und werden uns daran erinnern, und

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