Neuland
sie stieß einen langen Seufzer aus, in dem keine Liebe mitschwang, so wie ihre Mutter immer über ihren Vater seufzte, und meinte dann: Ach, lass es, du verstehst das nicht, wir verstehen einander nicht mehr.
Inbar
fand ihre Großmutter zum Schluss in einem Café in Florentin, hinter einer blank geputzten Fensterscheibe, so sauber, dass man sich aus Versehen den Kopf daran einrennen konnte. Lili saß an einem Tisch, der auf die Straße hinausging. Ihre Falten wurden von einer Kerze auf dem Tisch erhellt. Vor ihr standen eine dampfende Tasse und ein Kuchen, der aussah wie Käsekuchen.
Sie schickte eine SMS zur Beruhigung an alle: Habe sie gefunden. In einem Café. Sie scheint ganz in Ordnung zu sein. Ich setz mich ein bisschen zu ihr und bringe sie dann nach Hause.
Mit dem Ärmel wischte sie sich die Tränen ab, bevor sie eintrat.
Tsipke Fayer, ihre Großmutter strahlte, woher wusstest du, dass ich hier bin?
Ich wusste es nicht. Ich habe dich gesucht. Wir haben uns Sorgen gemacht.
Wieso Sorgen? Soldaten kämpfen im Libanon, und da macht ihr euch Sorgen um mich? Ich kann diesen Nasrallah nicht mehr hören, Sohn einer ehrlosen Mutter. Deshalb bin ich ein bisschen rausgegangen, frische Luft schnappen. Ihr habt hier ja vielleicht eine Stadt, ziemlich hässlich, aber doch interessant. Setz dich ein bisschen zu mir, Inbari. Wieso stehst du noch? Es ist nicht gut, dass der Mensch allein trinke.
Inbar setzte sich.
Darf ich vorstellen, das ist Julia, sagte Lili und zeigte auf eine Kellnerin. Ein sehr nettes Mädchen, ist mit sieben Jahren aus Weißrussland hier eingewandert und studiert Psychologie. Will sich auf Elternberatung spezialisieren. Finanziert ihr Studium selbst. Du musst diesen Käsekuchen probieren, Inbari, das ist was ganz Besonderes. Und Leute aus dem Norden kriegen sogar eine Ermäßigung. Soll ich dir einen bestellen?
Nein. Danke, sagte Inbar. Ich esse um diese Zeit keinen Kuchen.
Schon wieder dieser Quatsch mit der Diät? Inbarilein, du hast doch einen wunderschönen Körper. Genau wie eine Frau sein muss. Nur die Homoisten mögen solche Frauen nicht. Deshalb machen sie Kleider, die keiner anziehen kann.
Vielleicht nehm ich doch einen Kakao, sagte Inbar zu der Kellnerin, zwei Drittel Wasser, ein Drittel Milch. Und als die sich entfernte, rügte sie ihre Großmutter: Omilein, du kannst aber nicht einfach so aus dem Haus gehen, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Wir hätten fast die Polizei gerufen.
Gut, du hast ja Recht. Lili stach die Gabel in ihren Kuchen. Aber der Mensch braucht manchmal etwas Tapetenwechsel, auch wenn er alt ist.
Inbar bekam ihren Kakao. Sie trank ihn und betrachtete ihre Großmutter, und dann, wie bei einem Vexierbild, sah sie sie plötzlich als junge Frau mit einundzwanzig, im Zug von Warschau zum Hafen in Konstanza, mit einem kleinen, vollgestopften Koffer. Die erste Travellerin der Familie. Hätte sie nicht den Mut gehabt, aufzustehen und loszufahren, hätte es in dieser Familie keine weiteren Reisen gegeben, und kein Zuhause, von dem man wegfahren konnte.
Und, wie geht es deinem Geliebten?, fragte ihre Großmutter, nachdem sie den letzten Krümel des Kuchens von ihrer Fingerkuppe geleckt hatte.
Wen meinst du? Ejtan? Den siehst du doch jeden Tag, du schläfst in seinem Haus.
Nicht Ejtan, na komm schon. Der, dem du am Computer Briefe schreibst, bei dem sich dein Hals rötet, wenn du ihm schreibst.
*
Bewegt, wie genau ihre Großmutter sie las, holte Inbar tief Luft und erzählte ihr von Dori. Alles. Wo sie sich getroffen hatten. Wie sie sich seiner Reise angeschlossen hatte. Wie ihre Seelen sich miteinander verbanden, obwohl sie beide Lebensgefährten hatten und er sogar ein Kind. Sie sei sich sicher gewesen, dass das nur wegen der Reise und für die Dauer der Reise war, dass es nicht länger halten würde. Aber nein, da hatte sie sich geirrt. Inbar erzählte ihrer Großmutter alle Details, auch vom Karamellgeschmack seiner Lippen auf dem Flughafen Ben Gurion. Es war das erste Mal, dass sie jemandem von Dori erzählte; dadurch wurde alles viel greifbarer, aber auch schmerzhafter.
Ihre Großmutter fragte nichts, hörte ihr nur zu, mit dem feinen Anflug eines Lächelns.
Und die verrückteste Sache hab ich dir noch gar nicht erzählt, Omi. Er ist der Enkel von Fima. Das heißt, sein Vater ist der Sohn von Fima, der mit dir auf dem Schiff gewesen ist.
Welcher Fima?, wunderte sich ihre Großmutter; ihre Augen waren leer.
Fima, du weißt schon. Inbar staunte. Fima aus
Weitere Kostenlose Bücher