Neuland
überqueren.
Fahrräder fuhren an ihnen vorbei, dann eine Fahrrad-Rikscha, dann Autos und dann die Zeit.
Schreib ihn doch, sagte ihre Großmutter.
Was?
Schreib doch diesen Mann, du weißt schon. Du hast doch immer schreiben wollen.
*
Auf dem Heimweg, mit der Großmutter am Arm, formulierte sie die E-Mail, die sie Dori schicken wird/würde/wollte.
Anfang, Mitte und Schluss waren ihr schon ganz klar. Sie würde sogar ein schönes Zitat aussuchen. »Irgendwie musste ich dir Lebewohl sagen« , würde sie Dori aus einer Erzählung von Cortázar abschreiben, in der es um einen Mann und eine Frau geht, die über die Graffiti, die sie an die Häuserwände der Stadt schreiben, miteinander kommunizieren. »Und dich zugleich auffordern weiterzumachen. Etwas musste ich dir dalassen, bevor ich in mein Versteck zurückkehrte, wo es keinen Spiegel mehr gab, nur ein Loch, um mich bis zum Ende in der tiefsten Dunkelheit zu verkriechen, wobei ich mich an vieles erinnere und mir manchmal vorstelle, so wie ich mir dein Leben vorgestellt habe, dass du neue Zeichnungen machst, dass du nachts auf die Straße gehst, um neue Zeichnungen zu machen.«
Unter das Zitat von Cortázar, beschloss sie, als sie die Salamestraße überquerten, würde sie schreiben, in Liebe von Inbar . Denn wenn sie es nicht jetzt gestehen würde, wann dann?
Und sie würde einen Punkt nach der Unterschrift machen (immer gab es einen Moment, so glaubte sie, in dem es noch möglich war, einen Punkt zu machen).
Doch am selben Abend, nachdem der Lärm der Kriegsflüchtlinge, die ihre Wohnung übervölkerten, abgeklungen war und sie den Computer aufmachte, entdeckte sie, er war ihr zuvorgekommen.
Er schlug vor, dass sie sich treffen. Nach dem Krieg. Dass sie gemeinsam einen Zettel in die Klagemauer stecken.
Er schrieb, er könne einfach nicht aufhören, an sie zu denken, und wenn sie sich wirklich treffen würden, ein einziges Mal, nicht öfter, würde ihnen das vielleicht helfen, einander loszulassen. Und diese Reise endlich zu Ende zu bringen.
Sie schrieb ihm zurück, zögerte lange, bis sie mit der Maus auf Send drückte. Ihr ganzes Leben hing an einem einzigen Send .
Sie könnte ja Nessia von ihren Reisen zurückholen und sie losschicken, »um diese Reise endlich zu Ende zu bringen«. Sollte Dori doch sie verrückt machen. Ja, ganz problemlos könnte sie Nessia nach Jerusalem schicken und sie in ihrer Vorstellung begleiten, bis am Stadteingang rechts der Gruß »Willkommen in Jerusalem« erschien, und sie von dort über das International Convention Center bis zur Altstadt fahren lassen, und das alles, ohne sich auch nur von ihrem Stuhl zu bewegen. Ohne ein gebrochenes Herz zu riskieren. Dennoch drückte ihr Finger auf Send , ließ los. Let my people go . Lass den Feuervogel frei.
To: Dori
From: Inbar
Subject: Abgemacht
Wir treffen uns um fünf Uhr nach dem Krieg. Am Jaffator. Ich stehe beim Sesamkringelverkäufer, mit einem Buch von Julio Cortázar in der Hand.
Gib mir deine Telefonnummer, und ich geb dir meine. Vorsichtshalber.
Dein, Señorita Inbar.
Inbar und Dori.
Epilog und Prolog
Dort in der Tiefe haust der Tod, aber seien Sie ohne Furcht. Packen Sie die Uhr mit einer Hand, nehmen Sie mit zwei Fingern das Rädchen zum Aufziehen, drehen Sie es behutsam. Nun bricht ein anderer Zeitraum an.
(›Anleitung zum Aufziehen einer Uhr‹, Julio Cortázar)
Inbar
Als junges Mädchen hatte sie mit sich selbst das Ratespiel gemacht, in welcher Kurve nach Mevasseret Zion der Gruß »Willkommen in Jerusalem« erscheinen würde, und sie hatte immer verloren, hatte ihn immer ein oder zwei Kurven zu früh erwartet. Inzwischen haben sie bei Ginot Sacharov eine Ampel aufgestellt, und es gibt ein neues Autobahnkreuz. Wenn man rechts abfährt, kommt man direkt auf den French Hill, aber sie fährt geradeaus, setzt auf die Kurve direkt nach der Ampel und vertut sich wieder, denn es stellt sich heraus, dass man für das Willkommen noch eine Kurve weiterfahren muss. Einmal ist ihr Geburtstag auf einen Schneetag gefallen, was im November eine Seltenheit ist, und die Buchstaben trugen weiße Hüte. Jetzt ist Sommer, doch die Luft, die hereinweht, als sie das Fenster aufmacht, ist kühl, und die Ampeln beim Convention Center schalten ihr zu Ehren eine nach der anderen auf Grün, und in den Nachrichten berichten sie, dass das Schaf Lilusch in den Kibbuz Misgav Am zurückgekehrt ist. Ich habe nicht geglaubt, dass ich es noch einmal sehen würde, sagt die Schafhirtin
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