Neuland
Trennung gegen den letzten Monat, denkt sie, ist trotzdem schon ungeduldig, sich wieder mit ihm zu vereinigen, was kann sie machen, es ist eben dieses Wort, das ihr durch den Kopf schießt – die Soldatin, die sie kontrolliert, ist schneller als der Soldat, der ihn kontrolliert, und so ist sie es, die auf ihn wartet, und sie kann ihn beobachten, wie er auf sie zukommt, und erinnert sich, wie sie ihn auf dem Dach in Tumbes das erste Mal gesehen hat –
Schau mal, sagt er, als sie wieder zusammen sind, und zeigt ihr eine Tafel mit einem Vers aus Jesaja, »Denn mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker« , und sie wundert sich ein bisschen, wieso, war der Tempel denn nicht nur für uns? Und er sagt, das ist es ja mit dem Judentum, mal öffnet es sich der ganzen Welt, und dann verschließt es sich wieder vor ihr. Hast du eigentlich etwas Neues von deinem Vater gehört?, fragt sie, und er seufzt, meine Schwester fährt mit den Kindern zu ihm, über die Feiertage; er hat ihnen Flugtickets geschickt. Ich habe sie gewarnt, dass sie nicht den Vater treffen wird, den sie kennt, aber sie sagt, das sei ihr egal, sie müsse etwas den Kopf auslüften, nach diesem Krieg –
Wow – schau mal, wie viele Menschen!
Sie stehen etwas oberhalb des Tempelvorplatzes und blicken auf einen Teppich gelber Mützen und roter Sonnenschirme, Trauben von Touristen mit Fotoapparaten und wie zum Appell in Dreierreihen stehende Soldaten.
Could you ? Eine junge, hellhäutige Frau kommt mit einem Fotoapparat auf sie zu, bittet sie, sie mit ihrem Freund zu fotografieren. Der Freund ist schwarz. Sie umarmen sich und lächeln sehr. Inbar fotografiert und denkt sich, die hatten bestimmt auch einige Hindernisse zu überwinden für die Liebe. Thank you , sagt die junge Frau, Inbar gibt ihr den Apparat zurück und fragt Dori: Sind hier immer so viele Leute?
So viele nicht.
Meinst du, sie kommen alle aus ihren Löchern, weil der Krieg zu Ende ist?
Kann sein –
Er zieht aus der Gesäßtasche seiner Jeans eine schwarze Kippa, setzt sie auf und erklärt, von Opa Fima, und sie sagt, Fima aus den Träumen, und er lächelt, ja, und sie begleitet ihn zum Eingang des Männerbereiches, und er zieht einen zusammengefalteten Zettel aus der Tasche und sagt, guck mal, ihm ist in der Wäsche nichts passiert, und sie sagt, das ist wirklich ein Wunder, und fragt, hast du gelesen, was daraufsteht? Dori zuckt zusammen, das traust du mir zu?, das ist doch persönlich, und sie denkt, no chance , er ist ein so braver Jerusalemer, und er, als habe er ihre plötzliche Resignation bemerkt, streichelt lange ihre Wange, die dritte Berührung, und sagt, wer zuerst fertig ist, wartet auf den andern? Und sie nickt, ja, natürlich, und weiß schon, dass wie immer sie diejenige sein wird, die wartet.
Er steckt den Zettel ein und geht, sie bleibt noch einige Sekunden stehen, fragt sich, welchen Weg ihre Füße ihr weisen, und geht schließlich in den Frauenbereich, obwohl er beschämend klein ist, und betrachtet dort das Durcheinander von Strumpfhosen und Hüten. An die Mauer selbst kommt sie gar nicht heran, zu viele Frauen drängen sich dort, na, sagt sie sich, wenn du schon hier bist, dann schreib doch auch einen Zettel, aber sie hat keinen Stift bei sich, und selbst wenn sie einen hätte, an wen sollte sie ihren Wunsch adressieren?
Es gibt keinen Gott, hatte Großmutter Lili immer wieder gesagt. Sollte es einen gegeben haben, dann ist er in der Schoah gestorben.
Was gibt es dann, Omi?
Einen Schicksalsclown.
Was ist ein Schicksalsclown?
Das ist ein Typ mit einem sehr ausgeprägten Humor. Wie sieht er aus?
Er trägt eine Fliege.
Welche Farbe?
Das weiß ich nicht, Inbari, was stellst du mir heute so viele Fragen –
Die junge Frau, die sie vorher um das Foto gebeten hat, kommt mit ihrem Freund an ihr vorbei. Excuse me , ruft sie ihr zu, hast du vielleicht pen and paper ? Thanks. Just a minute . Inbar saugt die Luft der Berge Jerusalems tief in die Lungen und schreibt in einem Zug mit pochendem Herzen –
An den Typ mit der Fliege.
Hör mal, Dein Humor gefällt mir nicht. Ich fand es überhaupt nicht komisch, dass Du meinen kleinen Bruder hast sterben lassen. Fünf Jahre und eine Reise habe ich gebraucht, um mich davon zu erholen. Und ich denke, jetzt ist die Zeit für eine Gegenleistung deinerseits gekommen.
Also, hör zu. Ich fordere, dass meine Großmutter nicht leiden muss. Dass sie entweder wieder gesund wird oder schnell sterben kann. Erspar ihr
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