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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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jahrelanges Siechtum. Das hat sie nicht verdient. Und ich will diesen Mann. Ja, den, der gerade da drüben bei den Männern ist. Dori Peleg heißt er. Er hat einen etwas hervorstehenden Adamsapfel, ein paar graue Haare, er riecht wunderbar, ist etwas traurig, und ich liebe ihn, und es ist mir egal, dass er eine Frau hat. Ich will, dass er mich zurückliebt, ich will mit ihm zusammen sein und Kinder mit ihm machen.
    Wäre schön, wenn du dich drum kümmern könntest,
    Inbar Benbenisti

Dori
    Leg Tefillin an, gebietet ihm ein Mann von links, schließ dich unserem Minjan an, bitten sie ihn von rechts, aber er geht geradeaus weiter, zur Mauer. Ein Mann, mit Fahrradhelm statt Kippa auf demKopf, lehnt den Kopf gegen die Wand, wie ein Fallschirmspringer nach dem Sechstagekrieg, und Dori bezieht neben ihm Stellung, holt abermals den Zettel des Ladenbesitzers aus Ecuador aus der Tasche und sucht nach einer Ritze, die nicht schon überfüllt ist. Dreimal versucht er, den Zettel in die Mauer zu stecken, und jedes Mal fällt er zurück in seine Hand. Voll heute, nicht wahr?, sagt der Fahrradfahrer neben ihm, rät ihm, in den überdachten Teil zu gehen, da gebe es vielleicht noch etwas Platz –
    Dori nickt, geht an einer Gruppe Betender vorüber, die sich um einen Bar-Mizwa -Jungen versammeln, an einer anderen Gruppe Betender, die sich um niemanden scharen, an einer Gruppe Soldaten der Giv’ati -Brigade und einer anderen der Golani -Brigade – Der Direktor seiner Schule hatte ihn am Abend zuvor angerufen und ihm erzählt, er gehe zurück zur Armee, man habe ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen könne, in finanzieller Hinsicht, meine er. Außerdem müsse man die Missstände beseitigen, die der Krieg zutage gefördert habe, denn wer im Nahen Osten Schwäche zeige, der ende schnell im Meer. Dori hatte sich gewundert, warum er ausgerechnet ihm gegenüber all die Klischees abließ, warum der aufgeblasene Oberleutnant es für nötig befunden hatte, ausgerechnet ihn anzurufen? Am Ende des Gesprächs ließ er die Katze aus dem Sack: Die Sache ist die. Man braucht mich da ganz überstürzt, erklärte er, und das ganze Angebot hängt daran, dass ich mich innerhalb weniger Monate freimachen kann. Deshalb glaube ich, mein Ersatz sollte aus der Lehrerschaft unserer Schule kommen, dann könnten wir uns die Einarbeitung sparen. Es wird noch einige formale Prozeduren geben, das wissen Sie. Die Leitung muss alles absegnen, aber keine Sorge, dabei werd ich Ihnen helfen.
    Du glaubst ja nicht, was für ein Angebot ich gerade bekommen habe, hat er zu Roni gesagt, nachdem er das Gespräch beendet hatte. Doch sie zeigte sich wenig beeindruckt. Der Unterschied im Gehalt wird nicht sehr groß sein, meinte sie, du wirst nur noch mehr arbeiten müssen und weiterhin kaum was verdienen. Aber das istdie Gelegenheit, wirklich etwas zu verändern, hätte er beinah geschrien. Hier und nicht in Argentinien all das umzusetzen, woran ich glaube! Sie hatte nur mit den Schultern gezuckt, ihren Laptop aufgeklappt und sich dahinter versteckt, und er hatte es nicht länger ertragen, war zu ihr hingegangen, hatte den Bildschirm etwas runtergeklappt und sie gefragt, sag mal, was hast du denn, seit ich zurück bin? Wieso bist du so? Und sie antwortete, mach es uns nicht noch schwerer, Dori, und er, als wäre er sein Vater, als wäre er Begin, ich kann nicht mehr, ich brauche eine Antwort, und sie beschied, das ist jetzt keine gute Zeit für solche Fragen, und ich bin mir nicht sicher, ob du die Antwort wirklich hören willst. Er sagte, ich will, und sie sagte, nicht nur ich »bin so«, wir beide sind so, und nicht erst seit deiner Rückkehr, sondern schon viel länger. Jeder von uns hat eine andere Richtung im Leben eingeschlagen, und außerdem funktioniert unser Dreigespann mit Neta nicht wirklich. Und was machen wir jetzt?, fragte er, denn wie immer war sie ihm zuvorgekommen, hatte mühelos das benannt, was er die ganze Zeit für sich nicht hatte formulieren können, und so wie er sie kannte, hatte sie bestimmt auch schon eine Lösung parat – und sie hob ihre geröteten Augen vom Bildschirm und sagte: Was wir machen? Was alle machen. Er hockte sich neben sie auf den Boden: Was alle machen, Roni? Ich habe keine Ahnung, sag es mir bitte, ich fleh dich an, und sie streichelte seinen Kopf ohne Liebe und sagte: Noch ein Kind –
    Er bahnt sich einen Weg durch das schmale, überdachte Areal vor der Klagemauer. Auch hier gibt es viel Sehnsucht, und man muss

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