Neuland
Sofa, aber ich suche eine Wohnung, und etwas verlegen, da sie nicht geplant hatte, so schnell und ohne Gegenleistung ihre Karten aufzudecken, fügt sie hinzu, komm, lass uns weiter, wir müssen heute noch einen Zettel platzieren, nicht wahr?
Sie gehen weiter Richtung Klagemauer und Felsendom, hinunter ins »heilige Becken«, Palästinenser in ausgeblichenen Hemden kommen ihnen entgegen, Touristen mit glänzendem Blick, Mönche in strengen Kutten und Ultraorthodoxe mit Schläfenlocken, wie sehr doch das Wort »gottesfürchtig« zu ihnen passt, denkt Inbar plötzlich und spürt den Impuls, einen von ihnen zu streicheln, etwa den Knaben, der sich an die Mauer drückt, damit sie an ihm vorbeigehen kann, ohne ihn zu berühren, sie würde ihm gern sagen, fürchte dich nicht, Junge, die ganze Welt ist eine schmale Brücke, und das Wichtigste ist, dich nicht zu fürchten, dich nicht zu fürchten, wenn es sein muss, einen Kopfsprung zu machen – Komm, von da aus hat man einen guten Ausblick, sagt Dori, er legt ihr die Hand auf den Rücken, angenehm, es ist die erste Berührung, und sie steigt hinter ihm eine Eisentreppe hoch, stellt sich auf die Zehenspitzen und erblickt durch die Ritzen der Mauer den Felsendom, das Auguste-Viktoria-Krankenhaus, das Hyatt-Hotel, wo sie Rehavam Ze’evi ermordet haben, natürlich erinnert sie sich daran, und hier Ausgrabungen und dort Ausgrabungen und da unten das arabische Dorf Silwan, wo es vor der Intifada noch möglich war, durch den Schiloach-Tunnel zu gehen, ja, auch sie ist da schon mit der Taschenlampe durchgegangen, bestätigt sie. Wer weiß, sagt er, vielleicht sind wir am selben Tag dort gewesen und aneinander vorbeigegangen, ohne es zu wissen, und sie sagt, kann sein, und denkt sich, damals warst du frei –
Vielleicht hat Dori bemerkt, dass ihr Blick sich trübt, er legt seine Hand sanft auf ihre Hüfte, die zweite Berührung, und fragt, weiter?, und sie steigen die Eisentreppe wieder hinunter, auf die Straße im Suk, die zur Klagemauer führt, und ein Schuster, der viel zu jung ist, um Schuster zu sein, lädt sie mit einer großzügigenHandbewegung in seinen Laden ein, wie in ein Fischrestaurant, und erst nachdem sie ein ganzes Stück weitergegangen sind, kapiert sie, dass sie diesen jungen Schuster irgendwoher kennt, seine Augen, sein wildes Haar, Moment mal –
Jamili! Dori fragt, was?, und sie sagt, der Schuster, das war der Typ aus Neuland! Dori wundert sich, doch er ist bereit, mit ihr zusammen umzukehren, aber der Schuster ist nicht mehr da und der Laden mit Eisentüren verschlossen, und nur Nessia, so stellt Inbar es sich vor, steht vor dem Laden und sagt ihr, die Zeit ist reif, nimm mich wieder zu dir, und Inbar zieht sie an sich und sagt zu Dori, komm, lass uns weiter, ich muss mir das vorgestellt haben –
Dori lacht, vielleicht hast du das Jerusalemsyndrom, er erzählt ihr von dieser Störung – sie stehe wirklich im Verzeichnis der psychischen Störungen, sagt er, ein Teil der Leute, die das erste Mal nach Jerusalem kommen, werden richtig verrückt, glauben, sie seien der Messias, man sieht sie dann manchmal im Stadtzentrum mit einem Plastikbecher betteln. Obwohl er hier geboren sei, könne er das ehrlich gesagt verstehen, Jerusalem habe etwas Überwältigendes. Und sie sagt, ich weiß nicht, mich hat Jerusalem immer nur mit Liebe überwältigt –
Sofort rügt sie sich, Inbar Benbenisti, beruhig dich mit dieser ganzen Liebe, und sie gehen weiter, bergab, dicht nebeneinander, berühren sich fast, aber eben doch nicht, und dann, nach der Kurve –
Erscheint vor ihnen die Klagemauer mit den trockenen, grauen Büschen, die aus den Mauerritzen herauswachsen, und obwohl sie schon oft hier gewesen ist, gelingt es ihr nun zum ersten Mal, sich vorzustellen, dass diese Mauer Teil eines Ganzen war, die Mauer eines größeren Tempels, und sie bittet Dori, ihr noch mal zu erzählen, wie genau der Zweite Tempel zerstört wurde, und er erzählt ihr, während sie weiter hinabsteigen, von den vielen Soldaten des Titus, die zu Pferd mit ihren Fackeln diesen Ort erstürmten, bis heute seien sich die Historiker nicht einig, ob Titus den Befehl gab, den Tempel in Brand zu setzen, oder ob ein Fackelträger in seiner Kampfbegeisterung die Fackel geworfen hat –
Schon stehen sie am Eingang zum Vorplatz, an einem breiten, vergitterten Tor, hier müssen sie sich trennen, denn es gibt eine Sicherheitskontrolle für Männer und eine für Frauen –
Was sind für uns ein paar Sekunden
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