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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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Alfredo übersetzt nun simultan –, Ihr Vater ist ein starker Mann, aber er hat Ihre Mutter sehr geliebt, und sie ist gestorben, eh ? Deshalb muss er mit ihr reden. Aber das geht nicht, denn sie ist doch gestorben, stimmt’s? Stimmt nicht. Ich rede mit Felicia im Traum. Sie kommt zu mir und spricht mit mir. Und ich antworte. Aber Ihr Vater träumt nicht. Das ist sein Problem. Er braucht jemanden, der ihm hilft zu träumen.
    Alfredo nickt, als verstehe er. Dori versteht nichts. Alfredo stellt Edgar eine Frage, die mit dem Wort »Guatemala« endet, und Edgar nickt.
    Dann stellt er noch eine Frage, und Edgar brummt etwas.
    Dori bereut es, nicht wie sein Vater Spanisch gelernt zu haben. Alfredo kann ihm im Grunde erzählen, was er will. Jetzt sagt er, in Guatemala gibt es Substanzen … besondere Substanzen … die beim Träumen helfen. Und dein Vater hat Edgar gefragt, ob es die auch in Ecuador gebe, und Edgar hat ihm gesagt, es gebe in Ecuador nur eine Gegend mit Farmen, wo man solche Substanzen bekommen könne.
    Wieder redet Edgar und hebt warnend den Finger. Dein Vater hat ihm nicht ausdrücklich gesagt, dass er dorthin fährt, übersetzt Alfredo, und Edgar hat ihn gewarnt, es sei nicht gut, diese Substanzen ohne Anleitung durch einen Schamanen zu verwenden. So nennt man den Mann, der die Wege in die Welt der Toten kennt. Doch dein Vater hat gesagt, er wolle nur noch ein einziges Mal … wie in Guatemala … sehr hoch aufsteigen, an den Ort, wo sich die Seelen befinden, denn es gebe noch einige Dinge, über die er mit ihr reden wolle, mit deiner Mutter.
    Gut, sagt Dori zu Alfredo und steht auf, wir haben genug gehört, nicht wahr? Bedanke dich bitte herzlich bei ihm, und dann machen wir uns auf.
    Tranquilo, Mister Dorrrri , sagt Alfredo und rührt sich nicht von der Stelle.
    Wieso tranquilo ?, fragt Dori und ballt dabei, ohne es zu merken, die Faust.
    Dorrri, come down . Im Moment gibt es keinerlei Anzeichen, dass dein Vater in Gefahr ist. Im Gegenteil, wir wissen, dass er mit einem sehr klaren Ziel zu den Farmen gefahren ist. Er ist da nicht hingefahren, um sich vollzudröhnen, und auch nicht, um nachts den Mond anzujaulen, sondern um von deiner Mutter zu träumen. Die Chancen stehen gut, dass er genau das gemacht hat und dann weitergezogen ist.
    Aber …
    Außerdem, sagt Alfredo und nimmt gelassen einen Schluck aus der Flasche chicha , ist der Weg in die Region der Farmen wie die Hüften einer thailändischen Hure und nur bis ein Uhr mittags geöffnet. Nach ein Uhr mittags ist er nur für die geöffnet, die von dort zurückkehren wollen. Ich schlage vor, wir übernachten hier und brechen morgen mit dem ersten Sonnenlicht auf.
    Edgar wedelt aufgeregt mit dem Schlüssel, den die Wikinger auf dem Tisch liegen gelassen haben, und redet in einem Schwall.
    Schauen Sie, übersetzt ihn Alfredo, zufällig ist das Zimmer frei, das die Schweden verlassen haben, Zimmer Nummer drei, dasZimmer, in dem Ihr Vater geschlafen hat. Edgar sagt, dies sei ein Zeichen der Götter, dass deine Reise gut enden wird.
    *
    Seine Eltern hatten sich auf dem Gymnasium kennengelernt. Bis hierher herrschte Übereinstimmung. Doch schon gabelte sich der Weg der Geschichtsschreibung. Sie behauptete, er habe sie gefragt, ob sie sich zusammen mit ihm aufs Abitur in Mathematik vorbereiten wolle, und vorher habe sie ihn überhaupt nie beachtet. Er behauptete, sie habe ihm in der zwölften Klasse ein Jahr lang schöne Augen gemacht, und zum Schluss habe er keine andere Wahl gehabt, als sie zu fragen, ob sie mit ihm ins Kino gehen wolle. Auf die Abiturprüfung vorbereiten? Wo hast du denn das her? Daran konnte er sich nicht erinnern. Er habe sich aufs Abitur überhaupt nicht vorbereiten müssen.
    An dieser Stelle liefen die beiden Arme der Erzählung wieder zusammen, zu einer übereinstimmenden Fortsetzung: Im ersten Jahr ihres Wehrdienstes hatte sie ihn verlassen. Sie hatte ihm einen Brief geschrieben. Damals gab es keine Mobiltelefone und SMS, und so hatte sie ihm geschrieben, sie liebe ihn wohl, aber sie habe ihre Probleme damit, dass er nur einmal in ein paar Wochen ein freies Wochenende habe. Später wurde ihr klar, dass das nicht der einzige Grund war. Sie war einfach noch nicht bereit für die Gewissheit, mit der er sie liebte. Er wusste es schon, und sie wollte es noch prüfen. Er hatte schon gefunden, sie wollte noch suchen.
    Also hatte sie gesucht. Fünf Jahre lang. Und er hatte auf sie gewartet. Hatte ihr hin und wieder über gemeinsame Freunde

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