Neuland
ihn.
Moment mal, warum hat er nicht bezahlt?
Tranquilo , Dori. Das wirst du gleich hören.
Das Hostel Atahualpa ist relativ weit vom Marktplatz entfernt; je näher sie ihm kommen, umso leiser werden die Stimmen der Händler; eine faule, verschlafene Stille liegt in der Luft.
Die Eingangstür sieht aus, als gehöre sie zu einem ganz normalen Haus, aber als sie sie öffnen, sehen sie einen weitläufigen Innenhof, von dem mehrere Gästezimmer abgehen. In der Mitte des Hofes ein sprudelnder Springbrunnen, umgeben von wildem Farn. Eine Wanne für Handwäsche, daneben einige ausgespannte Wäscheleinen, dicht mit Kleidern behängt. Obwohl niemand außerhalb der Zimmer herumläuft, hat man das Gefühl, dass dieser Ort atmet.
Schließlich kommt der Besitzer des Hostels zu ihnen heraus, ein alter, aufrechter Mann in wadenlangen, strahlend weißen Shorts, blauem Poncho mit grauem Muster und Jesuslatschen. Hola , begrüßt er sie, und sagt noch etwas zu Alfredo.
Er sagt, du siehst deinem Vater sehr ähnlich, übersetzt Alfredo.
Dori nickt, weiß nicht, ob er danke sagen soll, weiß auch nicht, wie man danke sagt.
Edgar, stellt der Alte sich vor, reicht Dori die Hand und drückt sehr fest zu (Roni hat ihm erst vor gar nicht langer Zeit erzählt, dass sie Geschäftsleute gerne mit ihrem kräftigen Händedruck überrascht. Die erwarten das bei einer Frau nicht, hat sie lachend gesagt, und es ist köstlich anzusehen, wie sie versuchen, ihren Schmerz zu überspielen).
Edgar führt sie in sein Haus, nahe beim Hostel. Ein Hof voller Holzstämme. Ein kleines Haus. Zwei kalte Zimmer. Meine Frau, sagt er und zeigt mit der Hand auf ein Bild, das im großen Zimmer hängt, als stellte er ihnen einen lebendigen Menschen vor, und als müssten sie jetzt auch ihr die Hand drücken. Die Frau auf dem Bildhat ein kleines Bärtchen und ein schönes Lächeln, und sie trägt eine bunte Filzkappe auf dem Kopf, die so gefaltet ist, dass sie Dori an eine Hamantasche erinnert.
Edgar sagt ein paar Worte auf Spanisch und zeigt auf den kleinen Tisch. Alfredo übersetzt: Er sagt, hier habe er mit deinem Vater gesessen.
Um den Tisch stehen vier Stühle, Dori sieht auf einem eine Lehne, die dem Doktor Gav seines Vaters sehr ähnelt. Edgar bietet ihnen Gerichte an, die seine Frau gekocht hat. Dori versteht, dass sie auf dem Markt selbstgemachte Gerichte verkauft hat und in der Woche vor ihrem Tod so viel für ihn vorgekocht hat, dass es ihm für ein paar Monate reichen würde, und dass sie alles in zwei Kühltruhen gepackt hat: Eine besaßen sie sowieso, und die zweite hatte sie extra noch gekauft.
Dori lehnt höflich ab, obwohl er Hunger hat. Normalerweise mag er ältere Leute, hört ihren Geschichten gerne zu, den langsam aufsteigenden Erinnerungen. Aber jetzt möchte er Informationen, und zwar schnell.
Dann trinkt doch wenigstens chicha , verlangt Edgar in einem Ton, der keinen Zweifel daran lässt, dass er sich diesmal mit einer Ablehnung nicht zufrieden geben wird, und er stellt drei Glasflaschen mit einem unbekannten Getränk auf den Tisch.
Alfredo nimmt einen Schluck aus seiner Flasche. Edgar nimmt einen Schluck aus seiner Flasche. Dori hat keine Wahl. Es schmeckt nach Mais, nach der Flüssigkeit, die man aus den Konservendosen abschüttet, bevor man auf dem Schuljahresausflug den Mais isst.
Also, wie laufen die Geschäfte?, fragt Alfredo Edgar. Dori versteht der Intonation nach, dass dies die Frage ist.
Dank deinem Vater gehen die Geschäfte gut, übersetzt Alfredo für Dori Edgars Antwort.
Es stellt sich heraus, dass sein Vater sich hier eine Woche aufgehalten hat, in der er und Edgar enge Freunde geworden sind. Es passiert nicht so oft, dass hier jemand vorbeikommt, der mehrJahre auf dem Buckel als Zähne im Mund hat, erzählt Edgar; die meisten Gäste sind junge Leute, die den Honig schmecken und zur nächsten Blüte weiterfliegen wollen. Am Anfang sei ihm dieses merkwürdige Brett aufgefallen, auf dem Señor Meni außerhalb seines Zimmers gesessen hatte. Es sei nach irgendeinem Doktor benannt. Dori nickt und sagt: Doktor Gav , und Edgar fährt fort, dann seien sie ins Gespräch und auf die Gemeinsamkeit ihrer Rückenschmerzen gekommen, und Edgar habe sich auf diesen Doktor Gav gesetzt und gemerkt, dass der den Schmerz tatsächlich etwas mindere; da habe er Señor Meni gefragt, ob er diese Rückenlehne für ein paar Stunden in seine Tischlerei mitnehmen könne, er würde gern versuchen, sich so einen Doktor selbst zu bauen. Señor
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