Neuland
Grüße ausrichten lassen. Und einmal im Jahr, an ihrem Geburtstag, hatte er sie angerufen und gefragt, wie es ihr gehe, und dann heldenhaft ihre Geschichten über ihre Affären ertragen und über seine eigenen Bettgeschichten geschwiegen, obwohl sie alles wusste, denn Jerusalem war und ist bis heute eine kleine Stadt, um nicht zu sagen ein Schtetl, und am Ende des Gesprächs hatte er immergesagt: Alles Gute, Nurith. Du weißt, dass ich auf dich warte, nicht wahr?
In ihrem ersten Studienjahr an der Hebräischen Universität in Jerusalem haben sie sich wieder getroffen. Sie studierte Psychologie und Kunst, er Wirtschaft und Verwaltung. Ihre Freundinnen konnten nicht verstehen, warum sie diesen hübschen Kerl ignorierte, der sie so hartnäckig und fein umwarb, und sagten mit einem Lachen, in dem mehr als eine Prise Ernst steckte, sie gäben ihr bis Semesterende Zeit, sich zu entscheiden, ob sie ihn wolle oder nicht.
Noch vor Semesterende wohnten sie zusammen, in einer kleinen Wohnung in Bejt HaKerem, und zwei Jahre später heirateten sie. Nach drei Jahren wurde Ze’ela geboren, und in all den folgenden Jahren umwarb sein Vater seine Mutter weiter, als habe sie sich noch nicht ganz für ihn entschieden.
In jenen zwei Tagen, als Dori versuchte, sich von Roni zu trennen, hatte seine Mutter ihn beruhigen wollen und ihm gesagt: Trennungen sind nicht immer eine schlechte Sache. Schau doch, was das für mich und deinen Vater gebracht hat; es hat uns enger zusammengeschweißt als alles andere.
Sie haben sich nicht viel berührt, seine Eltern. Manchmal, selten, wenn sie vor dem Fernseher saßen, hat sie ihren Kopf an seine Brust gelehnt, und wenn er von Arbeitsreisen aus dem Ausland zurückkam, haben sie sich auf dem Flughafen, dort, wo alle ankommen, länger umarmt, seine eine Hand hielt sie umschlungen, die zweite hielt den Ziehkoffer. Mehr an physischen Liebesbekundungen in der Öffentlichkeit gab es bei ihnen nicht. Und trotzdem, trotz den wenigen Gesten, verband sie eine große und einmalige Liebe, stetig, wie ein verborgener Quell.
In der zehnten Klasse war Dori das erste Mal für einen ganzen Schabbat bei einer anderen Familie zu Besuch gewesen. Ein Freund aus seiner Klassenstufe, in dessen Nachbarschaft einige Feste steigen sollten, hatte ihn für ein Wochenende zu sich eingeladen. Völlig unvorbereitet wurde Dori in eine andere familiäre Welt geworfen, mit ganz anderen Codes, anderen Tischsitten, anderemHumor. Was ihn jedoch am meisten verwirrte, war, dass zwischen dem Elternpaar ein geradezu unverhohlener Hass herrschte; obwohl sie verzweifelt versuchten, ihn vor dem jungen Gast zu verbergen, blitzte er immer wieder auf: der aggressive Ton, in dem der Vater alles, was die Mutter sagte, heruntermachte; die scheinbar unschuldigen, aber stichelnden Anspielungen auf den Bauch des Vaters, die von der Mutter nur losgelassen wurden, um es ihm heimzuzahlen.
Wo war bei seinen Eltern die Liebe aufgeblitzt? Da waren die altmodischen Koseworte. Sie nannte ihn Mentsch, er nannte sie Nurik. Es gab einen trällernden eigenen Pfiff, mit dem sie sich gegenseitig im Haus ausfindig machten, wenn die Sicherung herausgesprungen war, weil sie mal wieder vergessen hatte, dass man Wäschetrockner und Boiler nicht gleichzeitig einschalten sollte. Und es gab leise Gespräche abends im Wohnzimmer, nach den Abendnachrichten im Fernsehen: Er redete, und sie hörte ihm mit einer Geduld zu, als gäbe es nichts auf der Welt außer ihm. Manchmal sagte sie ihre Meinung, und er hörte ihr zu. Und danach tauschten sie. Sie praktizierten eine sehr dynamische Aufgabenteilung: Sie erinnerte sich für ihn an alles, was seit ihrer Heirat geschehen war: Namen, Orte, Daten. Er kümmerte sich für sie um die Beerdigung von Großmutter Simona, denn sie war zu traurig, um das zu tun. Sie wusch das Geschirr ab, bevor sie es in den Geschirrspüler räumte. Er holte es heraus und stellte es in den Schrank. Sie bestellte eine neue Küche, weil der Schrank schimmelte. Er feilschte um den Preis, und nachdem die Verhandlungen gescheitert waren, kam sie dazu und machte ein neues vermittelndes Angebot. Mit größter Natürlichkeit glitten sie immer wieder einer ins Territorium des anderen, bis man nicht mehr erkennen konnte, wer hier Yin und wer hier Yang war.
Und da war natürlich die unaufhörliche Sorge des einen um die Gesundheit des andern, noch bevor Mutter krank wurde. Mentsch, bück dich nicht so, das ist nicht gut für deinen Rücken. Nurik, zieh dir
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