Neuland
hatten, und auch viele Freundinnen, die gern bei ihr saßen, nach ihren ersten Zigaretten husteten, über den Fänger im Roggen und über ihren hübschen Geschichtslehrer diskutierten und ihr immer wieder sagten, was für ein Riesenglück sie mit ihrem »U-Boot« habe.
Sie war völlig ihrer Meinung, sehnte sich manchmal nur nach dem »Badezimmer der oberen Gefilde«, in dem es einen kräftigen und stetigen Heißwasserstrahl gab. Selten, etwa wenn sie von Jahresausflügen zurückkam, nach der Trennung von ihrem ersten richtigen Freund und bei einem Stromausfall im ganzen Viertel, der den Atmor außer Betrieb setzte, erhielt sie die besondere Erlaubnis, bei ihren Eltern zu duschen. Doch ansonsten machte ihre Mutter ihr unmissverständlich klar, dass ihr Platz nicht oben war. Als Joavi das »U-Boot« bezog, nachdem sie Tel Aviv verlassen hatte, nannte er es seinen »Bunker« und duschte selbstverständlich weiterhin oben, wann immer er wollte, ohne dass die Mutter etwas dagegen sagte.
Das Wasser aus Brunos Atmor wurde jeden Moment kälter. Sie versuchte am Regler zu drehen, aber es half nichts. Und da war noch ein Problem mit diesen Atmor -Duschen, erinnerte sie sich: Das heiße Wasser war immer sehr schnell aufgebraucht.
Sie hüllte ihren Körper in ein großes Handtuch. Früher hatte sie ihr tropfendes Haar in ein weiteres Handtuch eingeschlagen, doch bei ihrem neuen Haarschnitt war das nicht mehr nötig. Bevor sie zurück in ihr Zimmer ging, überkam sie eine plötzliche Angst: Der Mossad-Agent vom Flughafen könnte dort stehen, einen Revolver mit Schalldämpfer in der Hand. Sie öffnete die Tür langsam, vorsichtig, und streckte einen nackten Fuß hinaus. Natürlich war das Zimmer leer. Und ein bisschen dunkel. Sie schlüpfte in die Hausschuhe, drückte den Lichtschalter, und ein kleiner Kronleuchter ging an. Noch nie hatte sie einen so rührend kleinen Kronleuchter gesehen. Davon musste sie Ejtan erzählen. Kleine Kronleuchter würden sich in Israel prima verkaufen, jetzt, wo die Mietpreise stiegen und alle in kleinere Wohnungen umzogen. Sie trocknete sich langsam ab und stellte sich dann nackt vor den Spiegel, der an der Innenseite der Kleiderschranktür befestigt war. Aus einem bestimmten Winkel kam sie sich dick vor, aus einem anderen rundlich und weiblich. Aus einem bestimmten Winkel schmeichelte ihr die neue Frisur und betonte ihren langen Hals, aus einem anderen wirkte sie zu männlich. Ihre Beine kamen ihr kurz vor, als sie direkt vor dem Spiegel stand, doch sobald sie sich ein bisschen drehte, erschienen sie ihr wunderbar. Ihre Lippen waren voll, üppig, egal aus welchem Winkel man sie anschaute. Viele Komplimente von Männern hatte sie für ihre Lippen schon bekommen, die meinten, sie lüden geradezu zum Küssen ein. Doch heute kamen sie ihr billig vor, aufgeblasen, als hätte sie sich Silikon spritzen lassen. Komisch, solange sie in Ejtans Nähe war und im Licht seines liebenden Blickes stand, fand sie ihren Körper ganz in Ordnung. Weniger als zehn Stunden ohne Ejtan – zweifelte sie schon.
Sie wandte sich vom Spiegel ab, holte ihr Handy und schrieb ihm:
Ich bin nackt und denk an dich.
In weniger als einer Minute kam die Antwort:
Ich bin angezogen und denke an dich nackt.
Passt gar nicht zu ihm, diese Schlagfertigkeit , dachte sie undprüfte, ob sie ihre Nachricht wirklich an ihn und nicht an jemand anderen geschickt hatte, der vor ihm in ihrem Telefonbuch stand – Adrian zum Beispiel. Es wäre amüsant, das Gesicht des Doktors zu sehen, wenn er das las, dachte sie und öffnete sofort ihr Reisetagebuch und schrieb: Eine Geschichte, die mit einer SMS beginnt, die an den falschen Empfänger geschickt wird , doch schon als sie das schrieb, kritisierte sie sich, das sei zu wenig, das reiche nur für eine Nebenhandlung in einem größeren Roman, nicht für mehr.
Sie legte sich aufs Bett und deckte sich mit einer dünnen Decke zu. In ihrer Tasche lagen zwei Bücher über die Schoah, die sie mitgenommen hatte, um den Verrat an Großmutter Lili auszugleichen – das eine über einen Jungen, der sich den ganzen Krieg über in einem Weinkeller bei Toulouse versteckt, das andere über ein Geschwisterpaar, Bruder und Schwester, das sich den Partisanen in den Wäldern anschließt. Aber sie hatte keine Kraft, sie aufzuschlagen. In den Tiefen ihres Bewusstseins erinnerte sie sich dumpf, dass es brennendere Fragen gab, über die sie sich klar werden musste. Doch die Müdigkeit nach dem Flug kroch von ihren
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