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Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
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passiert, dass du plötzlich pünktlich bist, wollte Inbar fragen, doch sie erinnerte sich an Ejtans »vielleicht wird es ja überraschend gut« und schwieg.
    Der deutsche Shalom Hanoch in schwarzem Goldkragenpulli drückte ihr die Hand und nahm ihr den Koffer ab.
    Wie war der Flug?, fragte er, als sie losfuhren, auf Englisch mit deutschem Akzent, und seine Augen schauten sie etwas besorgt durch den Spiegel an. Was hatte die Mutter ihm wohl von ihr erzählt? Ein kühler Wind blies durch ihr Fenster. Am Horizont Wälder von Partisanen. Der Flug war okay; es gab einen super Film, sagte sie. Sie erwartete, dass ihre Mutter nachfragen würde, doch sie fragte nur: Hast du Hunger? Wir können an einem Restaurant halten, wenn du willst.
    Sie fuhren an einem trüben, grauen Industrieviertel vorbei, von der Art, wie sie große Städte ankündigen. Inbar suchte an den Mauern der Fabriken nach Hakenkreuzen oder einem »Juden raus«, doch da waren nur unleserliche Graffiti in ballonartigen Buchstaben und die Logos internationaler Konzerne. Coca-Cola . Toys”R”Us .
    Hier bei dieser Tankstelle, sagte ihre Mutter, gibt es ein prima Restaurant. Die haben sogar eine Diätkarte.
    Ehrlich gesagt – Inbar sagte es nicht –, am liebsten würde ich duschen.
    *
    Die Dusche in Brunos Einliegerwohnung war so eine elektrische Dusche, bei der der G-Punkt zwischen dem kalten und heißen Wasser nur schwer zu finden war. Inbar spielte einige Sekunden mit dem Regler, bis sie den ersehnten Punkt fand, der ihr aber wieder entschlüpfte, sobald sie die Brause über sich feststeckte und versuchte, das Wasser etwas stärker zu stellen. Atmor , erinnerte sie sich, so hieß diese Marke im Land. Ihr Vater hatte ihr im Keller so eine eingebaut, nachdem man sie dorthin verbannt hatte.
    In dieser Zeit hatten sich die bitteren Streits mit ihrer Mutter verschärft. Alle ihre Freundinnen stritten sich damals mit ihren Müttern, das war ein Teil der Pubertät. Doch zwischen Inbar und ihrer Mutter lief es hässlicher ab, frontaler, und ohne jede Selbstbeherrschung. Es konnte mit einer kleinen Bemerkung beginnen, etwa, warum hast du deine Schuhe im Wohnzimmer stehen lassen, und schon Sekunden später lief alles aus dem Ruder, und sie schrien einander aus rauen Kehlen an und warfen sich Dinge an den Kopf, die sich tief einbrannten.
    Was habe ich Schlimmes getan, dass ich zur Strafe eine solche Tochter bekommen habe?
    Du bist meine Strafe, Mama, nicht umgekehrt.
    Aus dir wird nichts Gutes werden.
    Als ob aus dir was geworden ist.
    Hör auf, mir so frech zu antworten.
    Dann hör du auf, mich die ganze Zeit runterzumachen.
    Du bist einfach nicht hübsch genug, um so frech zu sein.
    Und du wirst auch in deinem nächsten Leben keine feste Anstellung an der Uni bekommen!
    Einmal hatte der kleine Joavi zwischen ihnen gestanden und zu weinen begonnen, hört doch auf, warum seid ihr so bös zueinander, und ihre Mutter hatte ihn natürlich sofort umarmt und beruhigt und Inbar vorgeworfen, ihren zarten Bruder zu verderben, und gesagt, sie solle in ihr Zimmer verschwinden.
    Ich will nicht auf mein Zimmer gehn.
    Ich habe gesagt, du sollst auf dein Zimmer verschwinden.
    Du sagst mir nicht, was ich zu tun hab.
    Was habe ich Schlimmes getan, dass ich so eine Tochter verdient habe?
    Versuch mal, dich zu erinnern, vielleicht hast du wirklich etwas Böses getan.
    Abends kam ihr Vater nach Hause und vermittelte, lief zwischen ihnen hin und her wie ein amerikanischer Nahost-Mediator, mit Kompromissvorschlägen und versteckten Drohungen.
    Zum Schluss war der Vermittler erschöpft gewesen und hatte die territoriale Trennung der verhärteten Seiten verhängt. Die Treppe, die aus dem Wohnzimmer in den Keller führte, wo sein Arbeitszimmer gewesen war, schlossen sie mit einer Klappe, die man hochheben konnte, und statt seinen Büchern über Verkehrsplanung lagen nun ihre Kleider auf den Regalbrettern. Inbar mochte ihr »U-Boot« vom ersten Moment an. Sie hatte einen eigenen Eingang vom Garten aus und konnte zu sich einladen, wen sie wollte, ohne ihre Besucher unter den missbilligenden Blicken der Mutter hereinführen zu müssen. Eine Woche nachdem sie ins »U-Boot« umgezogen war, sagte sie ihrem Jungfernhäutchen Lebwohl, mit tatkräftiger Unterstützung ihres Mathematik-Nachhilfelehrers, eines Studenten, der schon drei Sekunden nachdem er in sie eingedrungen war, kam und sie dann auch noch fragte, ob es gut gewesen sei. Danach holte sie sich Partner ins Boot, die es weniger eilig

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