Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neuland

Neuland

Titel: Neuland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eskhol Nevo
Vom Netzwerk:
Gedanken, sich auszuziehen, in ihr rotes Nachthemd zu schlüpfen und sich zu dem arischen Mann ins Bett zu legen. Ob er ihm wohl stehen würde, auch wenn er sternhagelvoll da schlief, fragte sie sich. Und vielleicht – diese Option notierte sie nun eher in Gedanken, als eine Szene für ihren Roman –, vielleicht würde sie sogar mit ihm schlafen, während er nichts davon mitbekam, so wie die Mutter von Garp mit dem Piloten in Garp und wie er die Welt sah . Aber Moment, jetzt erinnerte sie sich, im Buch wurde sie davon schwanger!
    Sie setzte sich auf einen Stuhl, und weil der knarrte, seufzte der Mann und drehte sich um.
    Das musste Brunos Sohn sein. Er war ihm ähnlich und auch anders. Die gleiche Nase, der gleiche Haaransatz, aber die Unterlippehatte etwas Gekränktes. In dem Ohr, das sie sehen konnte, steckte ein Ohrring und an einem seiner Finger ein Ehering, breit wie ein Armreif. So einen hatte sie noch nie bei einem Mann gesehen.
    Wer ist der Mann, der in meinem Bett schläft? , schrieb sie ihrer Mutter. Sie hätte auch schreiben können, Brunos Sohn schlafe in ihrem Bett, aber sie wollte ihre Mutter ein bisschen erschrecken. Sie war zweiunddreißig, eine erwachsene, selbständige und reflektierte Frau, aber noch immer wollte sie, dass ihre Mutter aufgeregt im Nachthemd angerannt kam, ungekämmt, hinaus aus ihrem prächtigen Haus in die kalte Nacht, hinaus zu der Einliegerwohnung.
    Bruno kam als Erster. Mein Gott, entschuldige, sagte er, das ist mein Sohn. Ich habe ihm gesagt, dass die Wohnung belegt ist, aber er muss zu viel getrunken und es vergessen haben. Er hat noch immer einen Schlüssel, verstehst du.
    Jetzt erschien auch ihre Mutter in der Tür. Vorbildlich gekämmt. Komm, meine Liebe, komm hoch zu uns, wir klappen dir das Sofa im Wohnzimmer auf. Wenn Hans getrunken hat, sagte sie mit einer Handbewegung in Richtung Bett, ist er nicht wach zu kriegen. Auch wenn wir ihm jetzt Wasser ins Gesicht schütteten, würde das wohl nichts helfen.
    (Einmal, auf einem Ausflug der Jugendbewegung zum Ramon-Krater, hatte ihr ein Junge aus der Gruppe kaltes Wasser aus seiner Wasserflasche ins Gesicht gegossen. Gu-ten Mor-gen, In-bar, hatte er gerufen, und sie war so wütend aufgeschreckt, dass sie dem Typen, er hieß Itamar, hinterherjagte und ihm eine Ohrfeige gab, die statt seiner Wange die Nase traf. Da kam der Jugendleiter angerannt und trennte die beiden und versammelte die ganze Gruppe rund um die vom abendlichen Lagerfeuer übrig gebliebene glühende Asche zu einem ernsten Gespräch über gegenseitige Verantwortung, verbale Gewalt und was alles dazugehörte.)
    Lasst ihn, weckt ihn nicht auf, sagte sie. Ich pack nur meine Sachen, und dann komm ich zu euch hoch.
    *
    Gegen Morgen war sie wieder diesem Knaben hinterhergerannt, diesmal über die Feuertreppe hinauf auf den Azrieli-Tower.
    Er war schneller als sie und auch jünger, und sie sagte sich, sie müsse anfangen, etwas für ihre Kondition zu tun. Dann erreichten sie das Dach. Da standen viele Sonnenkollektoren, und dahinter ragte eine große Radioantenne auf. Sag mir einen Grund!, rief der Junge ihr zu und kletterte auf das Geländer, das das gesamte Dach umgab. Nach der Anstrengung des Hochlaufens rang sie noch um Atem, bekam kaum ein Wort heraus. Sag mir einen Grund, oder – sagte er und beugte sich vor. Leonard Cohen, rief sie schnell. Der Knabe verharrte für einen Moment, sagte dann, kenn ich nicht, und sprang.
    Sie zog sich mit Mühe aus diesem Traum heraus (die schweren Lider wollten sich nicht öffnen). Im ersten Moment tastete ihre Hand gewohnheitsmäßig nach Ejtan, dann erst erinnerte sie sich, wo sie war. Europäisches Licht drang durch die Ritzen der Rollläden. Leichter Kaffeegeruch stieg ihr in die Nase, sie streckte die Hand nach ihrer Tasche, holte ihr Tagebuch heraus und schrieb den Traum in allen Einzelheiten auf. Als sie das Tagebuch zuklappen wollte, hörte sie plötzlich hinter sich die Stimme ihrer Mutter:
    Ich wusste nicht, dass du schreibst.
    Sie drehte sich um. Mama, wie lange sitzt du hier schon?
    Ein paar Minuten. Weißt du noch, dass du, als du klein warst, wenn du ein spannendes Buch gelesen hast, Fieber bekommen hast? Mit Anne auf Green Gables bist du auf achtunddreißig eins gekommen und mit Little Women auf über neununddreißig. Und diese beiden hast du parallel gelesen. Du hast immer gern zwei Bücher parallel gelesen. Erinnerst du dich daran?
    Wie könnte ich das vergessen, sagte Inbar (und fügte in Gedanken hinzu: wo du

Weitere Kostenlose Bücher